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im Gegentheil glauben: es sei die Absicht des Liedes gar nicht, die Namen der neun Welten zu lehren. Wir glauben dies aus zwei Gründen: 1) wegen der in allen Strophen wiederkehrenden Beschränkung auf sechs Welten, man sieht, dass in keiner einzigen Strophe die Aufmerksamkeit des Dichters wirklich auf die Zahl neun gerichtet ist, dass es ihm im Gegentheil ganz leicht fällt, von der neun auf diese bedeutend niedrigere Zahl hinabzuspringen; 2) weil der Name einer der bedeutendsten Welten Muspellheim in allen Strophen fehlt. Hätte wirklich der Dichter die neun Welten namhaft machen wollen, wäre dies seine Absicht gewesen, so hätte er Muspellheim nicht unerwähnt gelassen. Die Bemerkung, dass von einer „Sprache" Muspellheim's (der Feuerwelt) nicht die Rede sein könne und dass der Dichter bloss deshalb Muspellheim ausgelassen habe, ist gar nicht am Orte. Denn, bei dem bildlichen Sinne des Wortes „Sprache" in diesem Liede, konnte wohl auch von der Sprache Muspellheim's die Rede sein. Wird doch in vielfach andrer Weise bildlich von dieser Welt gesprochen: von „Surtr, dem Wächter Muspellheim's," von den ,Söhnen Muspell's, die herbeireiten werden" etc. Existiren Wächter und Söhne in dieser Welt, dann kann man wohl auch eine Sprache darin annehmen.

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Jedenfalls behält, auch nach der Prüfung des Alvisliedes,*) das

* Beiläufig noch ein paar Worte über das Alvislied und speciell über die Suttungssöhne:

Dem Alvisliede wohnt in der That eine didaktische Tendenz in Bezug auf die neun Welten nicht ein. Es lässt sich dies um so sichrer behaupten, als das Lied seiner Grundtendenz nach humoristisch ist. Der kleine, ,, nach Leichen riechende" Kobold der Unterwelt will Thorr's Tochter be sich fesseln. Gegen dieses Ansinnen kämpft der grosse Thorr nicht mit ernsten Waffen, nicht als wäre wirklich Gefahr dabei, sondern heiter lächelnd und des Ausgangs in jedem Falle gewiss. Es genügt, die Eitelkeit seines Gegners zu reizen. „Ihr klugen Zwerge, ihr wisst ja Alles." Der Allwissende

Alviss ist sein Name geht in die Falle, schwatzt und schwatzt, bis er darüber zu Stein geworden. Was hilft es, so mächtig und so vielwissend zu sein, wenn das Reich nur die kurze Spanne der Nacht dauert? Thorr prüft die Antworten des Zwerges gar nicht; er lässt ihn nur immer weiter und weiter reden, wie der Zwerg gerade kann und mag. Einen Mangel in seinem Wissen will er nicht nachweisen; er will ihn nur der Schranke seiner Macht überführen. In diese humoristische Tendenz passt es ausserordent

oben angegebene Factum seine Wahrheit, dass, während immer von neun Welten gesprochen wird, doch nicht voll so viel nachweisbar sind.

lich gut, dass, während der Zwerg versprochen hat, die Sprachen von neun Welten zu nennen, dass er doch immer schon bei der sechsten aufhört, ferner dass er die Welten so confuse durcheinander wirft, einmal diese, einmal eine andere unerwähnt lässt. Der Leser denkt: warum giebt Thorr keine Andeutung darüber, dass sein Gegner die Bedingung, zu der er sich verpflichtet hat, nicht löst? In der That spricht Thorr davon nicht, weil er noch mehr zeigen will: nicht bloss, dass der Zwerg das nicht weiss, was er zu wissen vorgiebt, sondern auch, dass er das nicht vermag, was er gern möchte.

Diese humoristische Tendenz des Alvisliedes zugestanden, erklärt sich nun auch der Sinn des Namens ,,Suttungssöhne" in Strophe 35 ausserordentlich leicht und natürlich. Strophe 35 giebt nämlich die Uebersetzung des Wortes „Ael" und lautet wörtlich:

,,Ael heisst es bei den Menschen, Bei den Asen Bier,

Vanen nennen es stark Getränk,

Riesen reine Fluth;

Bei Hel heisst es Meth,

Suttung's Söhne nennen es Labetrank."

Suttung ist ja der Held jener berühmten Sage von dem Trank der Weisheit und Dichtkunst, der aus Kvasir's Blute bereitet war. Nachdem derselbe in die Gewalt des Riesen Suttung gekommen war, wurde er von diesem in dem Hnitberge verschlossen, und Suttung's Tochter, Gunlöd, zur Bewachung übergeben. Nicht Gewalt, nicht Ueberredung konnte Suttung bewegen, etwas davon herauszugeben. Und es bedurfte der Schlauheit und Ueberlegenheit Odhin's, des höchsten Gottes, um ihn den Suttungen abzugewinnen. Die erhaltenen Reste der Edda geben wiederholentlich Andeutungen der allgemeinen Verbreitung dieser Sage: namentlich die reizende Episode in Hav. 104-110, andrerseits die prosaische Erzählung in Brag. 57. Wie natürlich war es dem Dichter des Alvisliedes, auch hiervon eine Andeutung zu geben! Suttung's Söhne sind ihm ja nicht schlechtweg und bloss Riesen, sondern sie sind speciell die Inhaber jenes Trankes, der diese Wunderkraft besitzt, den zum Weisen oder zum Dichter zu machen, der davon trinkt, des Trankes, den Odhin mit Gefahr seines Lebens den Göttern zuwandte. Dieser Trank war in der Poesie eine so bekannte und so vielfach benutzte Vorstellung, dass in Brag. 57 sich noch sieben andre skaldische Umschreibungen für ihn finden, darunter auch ausdrücklich ein Name, unter Anknüpfung an den Namen „,Suttung": „Suttungs Meth." Ein Dichter, auf dem Boden dieser mythologischen Kenntniss, konnte, wenn von Getränk in der Weise des Alvisliedes die Rede ist, diesen Suttungsmeth nicht übergehen. Suttung repräsentirt in Bezug auf diesen Gegenstand eine eigene Sprache, natürlich nur in Bezug auf diesen Gegenstand.

Es fragt sich, ob hierin eine Ungenauigkeit im Umgehen mit Zahlen zu finden, oder ob es zufällig geschehen sei, dass wir in den Resten der mythologischen Literatur des alten Volkes nur die Namen von acht Welten aufbewahrt erhalten haben, während das alte Volk deren wirklich neun gekannt hat?

Es giebt allerdings mehrere eigenthümliche Zeugnisse von ungenauer Behandlung der Zahlen, in der Edda. Gylf. 20 wird die Zahl der Asen auf zwölf angegeben; gleich darauf aber (Gylf. 20-32) werden dreizehn namentlich aufgezählt und beschrieben. Der Verfasser von Gylfaginning weiss wohl, dass es dreizehn Asen sind: denn bei der Erwähnung der Richterstühle auf dem Idafelde sagt er (Gylf. 14) ausdrücklich, dass zwölf Stühle und überdies ein Hochsitz für Odhin errichtet wurden; aber er vermeidet die Erwähnung der Zahl dreizehn. Höchst interessant ist in dieser Hinsicht auch ein Rechenfehler, den Grimnismâl (4--17) ohne Hel und, wie es scheint, absichtlich vorträgt. Das Gedicht zählt die Götterwohnungen auf, nennt deren dreizehn verschiedene Namen, kommt aber nur bis zur Zahl zwölf. Denn erst nachdem der Dichter drei heilige Stätten genannt hat, Thrudheim, Ydalir und Alfheim, beginnt er zu zählen. Statt aber die folgende (Valaskialf) als vierte zu bezeichnen, nennt er diese die dritte und so fort, so dass die letzte, welche in der That die dreizehnte ist, doch als die zwölfte erscheint.

Bei dieser sich wiederholenden Abweichung zwischen Zahlen und Namen fragt es sich, ob wir in Bezug auf die neun Welten darauf bestehen wollen, wirklich neun Namen herauszusuchen, oder ob wir aus irgend einem Grunde mit weniger vorlieb nehmen müssen?

Eine Bemerkung allgemeiner Art in Bezug auf die Zahl überhaupt ist jedenfalls diese: dass in der Poesie des Mythus die Zahlen mythologischen Sinn haben. Sie sind heilige Zahlen, mit denen das alte Volk unmittelbar einen Gedanken, ein mythologisches Bewusstsein, mindestens ein Gefühl, verband, während unsrer heutigen Verstandesbildung die Zahl nichts als eine arithmetische Grösse ist.

Dass namentlich auch die Zahl ,,neun" mythologisch geweiht war, kann durch viele Citate erwiesen werden. Hâv. 139: Odhin hängt

Ein ähnliche Combination von Gedanken möchte übrigens auch im Stande sein, den Ausdruck „,âsa synir“ in Strophe 17, ohne Verstümmelung des Textes, dem Geiste des Liedes gemäss zu erklären. Es wird ja von der „,Sonne" Strophe 17 gesprochen.

neun Nächte am windigen Baume; Hâv. 141: Odhin lernt neun Hauptlieder; Hyndl. 34: Heimdall hat neun Mütter; Gylf. 49: Hermodher reitet neun Nächte durch dunkle und tiefe Thäler bis zum Giöllflusse; Skaldsk. 35: vom Ringe Draupnir träufeln in jeder neunten Nacht acht ebenso kostbare Ringe; Gylf. 23: Niördr und Skadi wohnen abwechselnd neun Nächte in Thrymheim und in Noatun; Skirn. 38: nach neun Nächten verspricht Gerda, ihre Liebe Freyr zu gewähren; H. Hiörw. 16: Atli wünscht Hrimgerda neun Rasten tief unter die Erde; H. Hiörw. 6 und H. Hund. II, 16: neun Valkyrien kommen reitend; H. Hund. I, 38: Sinfiötli will mit dem Valkyrienscheusal (wofür er Gudmund ausgiebt) neun Wölfe gezeugt haben. Zu all diesen Citaten kommen ausserdem noch die oben genannten Stellen, wo von den neun Welten die Rede ist, darunter besonders Völ. 2, wo die neun Welten mit den neun Aesten der Esche Yggdrasil verglichen werden. Neben der Zahl „neun" findet sich keine andere, die so wiederholentlich und so bedeutungsvoll in der Edda aufträte.

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Versuchen wir den Gedanken, den die Alten mit dieser Zahl verbanden, zu reproduciren, so wenden wir uns wohl mit Recht an die am meisten charakteristischen Verbindungen, in denen sie vorkommt.

„Odhin hängt neun Nächte an der Esche Yggdrasil," heisst es Hâw. 139, und zwar, wie die Zeitbestimmung wörtlich lautet: „nætr allar niu."

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Nætr niu: neun Nächte" (ohne allar) hätte an sich nichts Auffallendes, Der Nordländer zählt die Jahre nach Wintern, und in Uebereinstimmung damit ist ihm die Zählung nach Nächten, statt nach Tagen, geläufig. Dort aber stehtt nætr allar niu."

Simrock übersetzt frei: „neun lange Nächte." Davon steht nichts im Texte. Strengere Commentatoren erklären „neun ganze Nächte." Wäre dies letztere der Sinn, dann hätten wir hier eine der wenigen, vielleicht die einzige Stelle in der Edda, in der ein zweckloses Flickwort einem Liede eingefügt wäre. „Neun ganze Nächte" sind doch nichts Andres, als überhaupt „neun Nächte." Erwägt man jedoch die Kargheit des Ausdrucks, die namentlich das tiefsinnige Lied vom Hängen Odhin's am und von seinem Loslösen vom Baume der Welt auszeichnet, dann wird man sich schwerlich damit zufrieden geben. Die Bedeutung des Wortes „allar" liegt nun ganz nahe, wenn man nämlich wirklich wörtlich übersetzt: „neun, Alles Nächte“, ,,neun, ganz und gar Nächte." Nächte sind gemeint, die von Tagen nicht

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unterbrochen wurden, die ohne Grenze in einander übergingen: also eine Zeitdauer, die ihrer Natur nach unbestimmbar, unmessbar ist, weil sie, als eine gleichartige Einheit, sich nirgend fesseln lässt.

Dies ist allerdings der Sinn, in dem der Ausdruck Hâv. 139 gebraucht ist. Odhin singt: „Ich weiss, dass ich neun Nächte am windigen Baume hing, vom Speere durchbohrt, Odhin geweiht, ich mir selbst, an dem Baume, von dem Niemand weiss, aus welcher Wurzel er aufsteigt. Nicht Brot, nicht das Trinkhorn ward mir zu Theil. Da spähte ich in die Tiefe, nahm die Runen auf, nahm sie laut schreiend. Davon fiel ich hernieder" etc. Wer hat die neun Nächte gemessen, von denen Odhin hier spricht? Es war die Unendlichkeit im Keime: die Unendlichkeit, aus der der Gott und die Welt stammen. Dies, meine ich, ist die mythologische Bedeutung der Zahl „neun.“ Ein Ganzes, Unendliches, Unmessbares, ein grosses All, wird damit bezeichnet.*)

Fast noch charakteristischer ist die Erwähnung der Zahl in Bezug auf die Geburt Heimdalls: „Einer ward geboren in Urtagen, sehr krafterfüllt, göttlichen Geschlechts. Neun gebaren ihn, den segenspendenden Mann, Riesentöchter am Rande der Erde." (Hyndl. 34. Vergl. Gylf. 27, wo die neun Mädchen, die ihn gebaren, als Schwestern bezeichnet werden.) Da es unmöglich ist, mehr als Eine Mutter eines Kindes zu denken, so liegt in diesem Falle die Nothwendigkeit des symbolischen Verständnisses vor. Und ganz im Allgemeinen wird man sofort sagen müssen, dass die ,,neun Mütter" eine verstärkte Vielheit von Kräften bedeuten, die zu Einer Wirkung zusammentreten. Heimdall ist ja der Gott, der die Verbindung des Göttlichen und Menschlichen, des Himmels und der Erde bewirkt, der Wächter der Götterbrücke, die in der Vorstellung der Edda mit dem Regenbogen identificirt wird. Hier, am

*) Dieselbe Bewandniss hat es mit den, Gylf. 49 erwähnten, „neun Nächten": „Hermodher ritt neun Nächte, bis er zum Giöllflusse kam." Der Gedanke, dass die Dunkelheit nicht von Tagen unterbrochen wurde, wird hier durch den Zusatz angedeutet: ,,er ritt durch dunkle und tiefe Thäler, so dass er nichts sah." Auch hier sind die „neun Nächte" poetischer Ausdruck für eine unbestimmt lange Zeitdauer, für eine Unendlichkeit. Hermodher's Ritt nach Niflheim galt ja Baldr, den die Götter aus Hel's Reiche befreien wollten. Wer hätte bei der Lebhaftigkeit dieses Wunsches die Ruhe gehabt, die Dauer zu messen? wem erschien sie nicht zu lang, auch wenn sie noch so schnell vorüberging?

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