Und sollte denn dies stolze Herz sich beugen, können wir in der tragischen Poesie just nicht billigen. In einer Uebersetzung Racine's muss die tragische Würde beobachtet werden, und Schiller würde sich so Etwas nicht erlauben. Ein aufmerksamer Leser Racine's wird die Aehnlichkeit dieser Einleitungsscene zu Phädra mit der entsprechenden zum Don Carlos nicht verkennen; Hippolyt befindet sich nicht weniger in einem verbotenen Liebesverhältniss, wie Don Carlos, nur steht dem des griechischen Fürstensohnes einzig eine, an sich werthlose, politische Staatsraison entgegen, während sich der spanische Königssohn mit den ewigen Gesetzen der Sittlichkeit im Widerstreit befindet. Ein fernerer Unterschied liegt darin, dass Hippolyt zu einem Vertrauten spricht, der ihn aus aufrichtiger Theilnahme über seinen inneren Seelenzustand befragt, während Don Carlos sich von einem Menschen ausgeforscht sieht, der unter der Maske des theilnehmenden Freundes an ihm zum Verräther werden will. Die allgemeine Verwandtschaft, welche zwischen der Intrigue im Don Carlos und derjenigen der Phädra herrscht, näher zu erörtern, ist hier nicht der passende Ort. Erster Act. Dritte Scene. Während im Allgemeinen die Viehoff'sche, wie die Schiller'sche Uebersetzung reimlos ist, auch darin mit Recht sich den Grundsätzen der deutschen Dramatik anschliessend, finden wir auf einmal in einer Apostrophe der ganz ihrem Liebesschmerze hingegebenen Phädra, welche übrigens von Viehoff wie von Schiller mit der bei Racine nicht vorhandenen Bühnenandeutung: „,schwärmerisch" bezeichnet wird, bei dem ersteren Uebersetzer zwei gereimte und noch dazu schlecht gereimte Verse. Wann darf mein Blick durch stolze Staubeswolken Sonst ist auch Schiller in dieser, allerdings schwer zu übertragenden Scene nicht immer ganz glücklich. Oenonens Ausruf: So ist sie ewig mit sich selbst im Streit! klingt matt und prosaisch neben Racine's: Comme on voit tous ses voeux l'un l'autre se détruire! besser übersetzt Viehoff: So kämpft bei ihr der Wunsch stets mit dem Wunsche! Mit Recht bewundert wurde zu allen Zeiten jene Stelle dieser Scene, wo Phädra in abgebrochenen Ausrufungen und Fragen ihre verbrecherische Liebe zum Hippolyt gesteht. Phèdre. Tu vas ouïr le comble des horreurs. J'aime. à ce nom fatal je tremble, je frisonne. Qui? O enone. Phèdre. Tu connais ce fils de l'Amazone, Ce prince si longtemps par moi-même opprimé? O enone. Hippolyte! Grands Dieux! Phèdre. C'est toi qui l'as nommé! Diese Stelle übersetzt Schiller: Oenone. Hippolyt? Gerechte Götter! Phädra. Du nanntest ihn, nicht ich. Wo das nicht ich" offenbar nur abschwächend wirkt. Besser Viehoff: Archiv f. n. Sprachen. XXXIV. 20 O enone. Hippolyt! Allmächt'ge Götter! Phädra. Du hast ihn genannt! Oft trägt es bedeutend zum energischen Ausdruck eines Gedankens bei, dass derselbe innerhalb einer Verszeile beschlossen werde, indem durch das Hinüberziehen in eine andere Zeile die Satzverbindung zu sehr die Form der gewöhnlichen ruhigen Gedankenentwicklung annimmt. Racine hat daher überall, wo die Leidenschaft spricht, mit grosser Geschicklichkeit die erstere Art der Construction angewandt. So hier in der Rede der Phädra, wo sie der Oenone die Entstehung ihrer Liebe zum Hippolyt erklärt. Athènes me montra mon superbe ennemi: Je le vis, je rougis, je pâlis à sa vue; Un trouble s'éleva dans mon âme éperdue; Mes yeux ne voyaient plus, je ne pouvais pleurer; Je sentis tout mon corps et transir et brûler; Weder Schiller noch Viehoff haben diese Energie des Ausdruckes in ihrer Uebersetzung erreicht. Der Erstere übersetzt: Ich sah ihn, ich erröthete, verblasste Ich fühlte mich durchschauert und durchflammt. . . . Also fast fortwährend ein Uebergehen in die folgende Zeile. Ebenso Viehoff: Ich sah ihn, und Erröthen fuhr und Blässe Ich fühlte Gluth und Schauer mich durchströmen; Bei Schiller ist überdies noch eine jener obenerwähnten schwer zu vertheidigenden metrischen Licenzen (in der vierten Zeile), die man in seinen Originalwerken sonst wohl nicht leicht antreffen wird. Vor meinen Augen, mir versagte die Stimme. Wir werden deren noch mehr Beispiele in seiner Uebertragung antreffen. Ungenauigkeit im Gebrauche des vieldeutigen Pronomens ,,sie" ist bei uns Deutschen nichts Seltenes, sollte aber bei der Uebertragung eines klassischen Meisterwerkes nicht vorkommen. Dennoch sind sowohl Schiller als Viehoff hier in diesen Fehler verfallen. Schiller lässt die Phädra sagen: Der Venus furchtbare Gewalt erkannt' ich, Ich baut' ihr einen Tempel, schmückt ihn reich, ..... Das sie" der zweiten Zeile geht natürlich auf die Venus, das ihr der vierten auch, wie ist es aber mit dem „,sie" der dritten Zeile; geht dies gleichfalls auf die Venus oder, wie man doch wohl richtiger denken muss, auf die Qualen? ungenau Viehoff: Der Venus fürchterliche Flamm' erkannt' ich, Durch reiche Opfer hofft' ich sie zu dämpfen; Ich baut' ihr einen Tempel, schmückt ihn sorglich, . Erster Act. Fünfte Scene. Ebenso Gelegentlich hat sich Schiller auch wohl einmal erlaubt, einige Verse, die ihm überflüssig scheinen mochten, fortzulassen, und in der That ist ja der Redefluss der Personen der französischen Tragödie oft der Art, dass von ihnen der bekannte, auch auf Shakspeare angewandte, Ausspruch, wie es leichter sei, dem Herkules seine Keule, als dem Homer einen Vers abzuringen, nicht gerade unbedingt gelten mag. Sei es denn um die drei Zeilen, welche Schiller hier in der Rede der Oenone gestrichen hat. Uebrigens haben wir hier eine abermalige metrische Licenz zu notiren; einen Iambus mit einer Vorschlagssilbe. Der König ist todt, an seinen Platz trittst Du. Vivez; vous n'avez plus de reproche à vous faire: Das Unwahre und Unsittliche, was in diesen Worten der Oenone liegt, ist auch von den französischen Commentatoren von jeher gefühlt worden. Sie suchen den Dichter deshalb zu entschuldigen, wie sie eben können, Schiller übersetzt: Drum lebe! Viehoff: Aller Schuld bist Du jetzt ledig! So lebe denn! Frei bist Du jetzt der Schuld, Die Wahl zwischen beiden Versionen kann wohl nicht lange zweifelhaft sein. Nach dem, durch Shakspeare's Vorgang in unserer dramatischen Poesie eingebürgerten Gebrauche geben Schiller wie Viehoff die letzten Zeilen der Acte in Reimen und verleihen durch diesen melodischen Klang der Handlung des Actes einen passenden Abschluss. So die Phädra bei Schiller: Wohlan, ich gebe Deinen Gründen nach, Wohlan, ich gebe Deinem Rath mich hin; Zweiter Act. Erste Scene. Wir haben hier nur einige weniger bedeutende Bemerkungen zu machen, die wir aber doch nicht geradezu unterdrücken möchten. Schiller: Sein Ruf, gesteh' ich, schärfte meine Neugier. |