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streiche erproben könne! Hat denn der Mann, den ich als euren grössten Aesthetiker nennen höre, nicht einmal gelernt, dass man nur durch liebevolles Versenken ein Dichtwerk ganz erfassen könne, was vor allem ein solches fordert, das sich zu lebendigster Darstellung seines Stoffes der allegorischen Kunstform bedienen musste. Doch was ärgere ich mich über einen Menschen, den leidenschaftlichster Widerwille gegen meine Dichtung auf solche tollen Sprünge gebracht hat!"

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Vor allem kommt es auf das Verständniss an; erst wenn dieses gewonnen, gilt es zu urtheilen. Vischer hat es sich darum nicht sauer werden lassen; mit cavaliermässiger Oberflächlichkeit urtheilt er ab, und gründet seine Anklagen auf Miss- und Nichtverständniss. Ja er behauptet gar, ein sicheres Verständniss sei nicht möglich, und zum Beweise beruft er sich darauf, dass die Ausleger sich noch heute über den Sinn der Allegorien streiten. Sie werden sich ewig streiten. Goethe hat es so gewollt; er hat beliebt, nicht nur Allegorien, sondern solche Allegorien auszuhecken, welche Räthsel sind und bleiben, nicht nur Räthsel, sondern solche Räthsel, von denen man, so lang und oft man räth, nie wissen kann, ob man errathen hat." Das ist eben eine derbe Unwahrheit. Also der Streit der Erklärer soll beweisen, dass eine sichere Deutung unmöglich sei. Weiss denn unser Gegner nicht, dass es zahllose Stellen in alten und neuern Dichtern gibt, wo die Deutungen auseinander gehen, ohne dass die Schuld an der Stelle selbst liegt, diese vielmehr einzig der Unzulänglichkeit der Erklärer zuzuschreiben, so dass dem mit dem Geist des Dichters und seiner Sprache Vertrauten nicht der allergeringste Zweifel bleibt, wie der Dichter die Stelle gefasst. Ist etwa die Unklarheit der Sagengebilde dafür anzuklagen, dass die Sagen die allerverschiedensten Deutungen erfahren haben, da doch die zur Klarheit gekommene Wissenschaft über den Sinn derselben keinen Zweifel lässt. Vischers Freund und Mitarbeiter an der Aesthetik, Köstlin, hat demselben nicht allein das Leid angethan, wie Vischer jetzt klagt, sich über dies und jenes mit mir zu zanken (der unanständige Ausdruck gehört dem Zürcher Aesthetiker an), nein, er hat neuerdings sogar eine ganz neue Aesthetik an die Stelle der Vischerschen gesetzt. Glaubt Vischer

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etwa, es sei dadurch der Beweis geliefert, dass es keine wahren Grundsätze des Schönen gebe, nicht allein seine eigene Aesthetik ruhe auf Sand, sondern man werde nie zu einer wahren Aesthetik gelangen? So wenig Vischer von dem Glauben an die einzigen Wahrheit seines Systems durch Köstlin abgebracht worden ist, so wenig habe ich durch Köstlins Schrift über den „Faust" mich überzeugen können, dass irgend eine meiner Deutungen fehl gegriffen sei. Die Haltlosigkeit seiner Einwände und Deutungen habe ich in der kleinen Schrift „Würdigung des Goetheschen Faust, seiner neuesten Kritiker und Erklärer" aufgezeigt. Köstlin hat hiergegen ein „Sendschreiben" an mich erlassen, das nur den Beweis von des Verfassers verletzter Autoreitelkeit gibt. Dies Sendschreiben brachte mir die Post zur Zeit einer länger andauernden Krankheit; deshalb blieb es unerwiedert und wichtigere Dinge warteten des Genesenden. Mittlerweile bin ich mit Köstlin in Frankfurt zusammengetroffen. wo ich ihm erklärte, dass ich aus dem angeführten Grunde seinen Brief nicht nach Gebühr zurückgewiesen habe, und ich werde ihn auch nicht beantworten. Dabei soll es denn auch hier sein Bewenden haben, nur muss ich vollkommen auf dem in meiner „, Würdigung" gegen seine falschen Versuche Gesagten bestehen und die Missverständnisse und Irrthümer ihm zurückschieben; bloss was die neuere Kritik des „Hiob" betrifft, ein Punkt, auf den mir beim „Faust" wenig ankommt, hat er gegen mich Recht. Doch kehren wir zu Vischer zurück, so beweist die Verschiedenheit der Deutungen der Allegorien ebenso wenig gegen die gelungene Ausprägung derselben als die abweichende Auffassung grösserer oder kleinerer Dichtwerke gegen ihre Vortrefflichkeit, und insonderheit gegen die Klarheit der Anlage und Ausführung. Wenn Fischer so klare Stücke, wie Lessings „Emilia“ und „Nathan" völlig missverstanden hat, so folgt daraus nichts gegen die fein berechnete und treffliche Ausführung dieser Dramen, vielmehr ergibt sich daraus nur, dass diesem urtheilfertigen Aesthetiker die Ruhe und Hingebung abgehen, um sich in Sinn und Wesen eines grössern Dichtwerkes hineinzuversetzen. Dass ihm diess bei den schwierigern allegorischen Darstellungen des zweiten „Faust" noch weniger möglich gewesen, scheint sehr natürlich; ist ihm ja auch auch beim ersten

Theile mancher wunderliche Irrthum begegnet, wie ich in meiner ,,Würdigung“ gezeigt habe; aber der grosse Mann geht seinen Gang" und kümmert sich nicht darum, wenn man ihm Irrthümer nachgewiesen hat, bei denen er sich einmal wohl befindet. Die von mir gegebenen Deutungen beruhen auf genauestem Verständniss des einzelnen, eindringendster Betrachtung des Zusammenhanges, vertrautester Kenntniss des Dichters und seiner Weise, und sie tragen den Beweis ihrer Wahrheit an sich, indem sie klares Licht über die Dichtung ausbreiten, die verschlungensten Gänge und Windungen erleuchten. So lange

Vischer oder ein anderer nicht in zutreffender Weise den Beweis liefert, dass meine Deutung der Allegorien ihnen Gewalt anthue, werde ich diese für die einzig richtigen, die Absicht des Dichters zum vollen Verständniss bringenden halten. So viel voin Beweise aus der Verschiedenheit der Deutungen.

Und sehen wir auf Goethe selbst, ist es nicht die unberechtigste aller Annahmen, ein Dichter von seiner schöpferischen Kraft, von seinem feinen Sinne Kunstvollendung von seinem besonnenen Gestalten habe in seinen Allegorien wirre Schemen gebildet, gleich den Fieberträumen eines Kranken, in denen nichts zum andern stimmt, alles bunt durcheinander geht. Und so etwas wagt man zu behaupten, obgleich man weiss, dass er gerade in diesen allegorischen Dichtungen alles auf das genaueste schematisirt, nach einem klar vorschwebenden Plan alle einzelnen Personen, ihren Charakter, ihr Thun und Reden sich ausgeführt hatte. Wer selbst den achtzigjährigen Goethe für fähig hält, seine kostbare Zeit und seinen liebevollsten Antheil an Gebilde zn verwenden, die ohne bedeutenden Inhalt, nur vertrakte Räthsel sein sollten, die kein künstlerisches Leben, keine berechnete Anlage und den Sinn aussprechende Ausführung zu haben bestimmt seien, der hat ihn nie gekannt, wie viel er auch auf das Verständniss seiner sonstigen Dichtungen sich zu Gute thun mag. Es ist wahr, Goethe hat manches, wie er selbst sagt, hineingeheimnisset, aber diese Beziehungen sind längst erkannt, und die Auffassung ist nur höchst selten durch die Kenntniss jener Beziehungen bedingt. Nicht weniger ist von den Erklärern anerkannt, dass er ein paarmal sich hat verleiten lassen, durch spätere, auf Zeitereignisse sich beziehende. Einfügungen den

Fortgang der Allegorie zu zerstören: aber diese Versehen treten ganz klar als solche hervor, und sind im Grunde nicht viel schlimmer, als wenn auch im „Egmont" an ein paar Stellen spätere Einschiebungen nicht ganz mit dem Verhandenen zusammenstimmen. Die Behauptung, Goethe habe gewollt, dass die Ausleger sich immer streiten sollten, was doch soviel heissen soll, als er habe sie mit Absicht so eingerichtet, dass man mit demselben Rechte so und anders deuten könne, ist eine schreiende Unwahrheit. Man vergegenwärtige sich die vielen Aeusserungen, welche Goethe während der letzten Jahre seines Lebens an seine vertrautesten Freunde über die grossen allegorischen Darstellungen des zweiten Theiles gethan, und man wird nicht begreifen, mit welcher Stirn man es wagen kann, uns einreden zu wollen, diese Gebilde seien nur ein wirres, launenhaftes Chaos, keine künstlerische, mit Einsicht nach einem bestimmten aus der Sache geschöpften Plane ausgeführte Dichtung, welche ihren Sinn dem Einsichtigen eröffnet, aber freilich nicht demjenigen, der sich einmal dagegen verstockt, und überall nur Schnörkel und Greisenhaftigkeit wittert. Und mit welchem Rechte will man dem siebzigbis achtzigjährigen Dichter schöpferische Dichterkraft absprechen, wenn man sich an so manche seiner lyrischen Gedichte gerade aus dieser Zeit erinnert, an so herrliche Dichtungen, wie seine „Novelle." Auch hat Vischer ganz entschieden Unrecht, wenn er diese allegorischen Dichtungen erst in die höchsten Jahre Goethes verlegt; dass er hier allegorischer Darstellungen sich bedienen müsse, war dem Dichter schon in den neunziger Jahren klar, und er hat schon damals und am Anfang des Jahrhunderts manches sich ausgebildet, was er später mit grössern oder geringern Veränderungen aufgenommen hat. Somit zeigt sich die hochweise Behauptung, diese Allegorien seien eigentlich gar nicht zu verstehn, sie sollten nur den Leser an der Nase herumführen, in ihrer ganzen Blösse. Selten ist mit so vieler Anmassung eine so sinnlose Beschuldigung, die nur den eigenen Widerwillen verdecken soll, in die Welt getreten. Da ist es denn nicht zu verwundern, wenn Vischer den Erklärern in seiner dreisten Vornehmheit vorwirft, sie legten das Glück ihrer Eitelkeit im Deuten, Rathen, vermeintlichen Errathen haben dem Dichter als ästhetischen Werth bei. Keiner kann weiter als ich entfernt

sein, die allegorische Form als eine besonders hochstehende zu betrachten, aber Goethe war in seinem dramatischen Märchen gezwungen, zu derselben zu greifen, und dass er sich dieser dem höhern Alter zusagenden Weise im Ganzen mit feinstem Geschick bedient hat, das zeigt gerade die genaueste Auslegung des Einzelnen. Und diese wesentlich gefördert zu haben ist, denke ich mir, ein grösseres Verdienst, als immer nur von Unzulänglichkeit, Launenhaftigkeit und Mangel an wahrer Dichterkraft zu indoliren, ohne einen ehrlichen Versuch zu machen, den Dichter zu verstehen. Ja den Dichter verstehn, das ist eine Sache, wozu diese vornehmen Herren sich nicht bequemen wollen; wenn ihnen das Verständniss nicht vom Himmel fällt, dann kümmert es sie nicht. Dass nur aus der Erkenntniss des Einzelnen das Gesammtverständniss sich ergeben kann, das geht ihnen nie ein, und so urtheilen sie über unsere edelsten Dichtwerke in einer Weise ab, dass man glauben sollte, es sei ihnen nur eine dunkle Ueberlieferung darüber zugekommen. Dem wegwerfenden Urtheil gegenüber, das Vischer über diese „ruppige Warze" gefällt, vergleiche man, was neulich Carus über den tiefen Gehalt und die hohe Vortrefflichkeit der Ausführung in dem grössten Theile dieser wunderbar tiefen, den Geist ergreifenden Dichtung fein und sinnig bemerkt hat.

Wie sehr es unsern Aesthetiker immer juckt, dem verhassten zweiten Theile eine derbe schwäbische Ohrfeige zu versetzen, verräth er unwillkürlich in dem Berichte, wie der erste Gedanke zu seiner Parodie in ihm entstanden sei. „Als ich vor etlichen Jahren über Goethes ,,Faust" las und an den abgeschmackten Vers des Chors der seligen Knaben im zweiten Theil kam: „Er überwächst uns schon er wird uns lehren," so fiel mir mitten im Vortrag ein, das liesse sich zu hübsch zu einer Satire verwenden: Faust wird im Jenseits Präceptor bei den seligen Knaben." Kann man wohl abgeschmackter lesen? Der Gedanke, dass Faust, da er auf eine höhere Stufe der Ausbildung ins Jenseits gekommen, als die gleich aus dem Leben geschiedenen Knaben, sich viel rascher entwickle als diese, scheint uns ein höchst glücklicher, und wenn diese ihn dem neuen Leben entgegenführen, worin er bald als gebildeter Geist

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