Imágenes de páginas
PDF
EPUB

und zu gelungen ist, eine wirtschaftliche Gefahr von sich abzuwenden, bedeutet längst keine brauchbare Unterlage für eine theoretische Erfassung des Krisenproblems; und auch nicht eine dauernd brauchbare Handhabe für die Konjunkturforschung.

In der Tat sind krisentheoretische Erörterungen nur allgemeine Erklärungsversuche für die Krisen, wie es Sombart, Schmoller, Spiethoff und andere uns längst deutlich gemacht haben.

Die Fragestellung ist denn auch von der Theorie der Krisen zu der ganz positiven Fragestellung der statistischen Darstellung der wirtschaftlichen Konjunktur übergeleitet worden.

§ 117. Die Konjunkturforschung.

Konjunktur ist ein produktionspolitischer Begriff; es sind die Produzenten, die ihn anwenden, während der Konsument als letzter Käufer von Waren usw. die Konjunktur eher entgegengesetzt empfindet, zumindest wenn Produktion und Distribution von einer günstigen Konjunktur sprechen. Eine ungünstige Konjunktur aber wird gemeinhin in einer Wirtschaftskrisis enden.

Man muß vorweg günstige und ungünstige Konjunkturen unterscheiden. Günstig nennt der Warenbesitzer die Konjunktur, d. i. die Wirtschaftslage, wie er sie in der Verbindung der für ihn besonders wichtigen Komponenten der Wirtschaft sieht, wenn sie ihm hohe Preise und großen Absatz, zumindest großen Absatz zu voll ausreichenden Preisen, bietet; ungünstig ist sie für ihn, wenn der Absatz geringer wird als er erwarten durfte oder erwartet hat und die Preise noch dazu ihm vielleicht einen geringeren Nutzen lassen als er voraussehend kalkulierte.

Tatsächlich muß der Konsument (oder Abnehmer oder Käufer) also die Konjunktur etwa umgekehrt bewerten als der Warenbesitzer. Zunächst ein Beweis für ihre Gesetzlosigkeit.

Der Begriff,,Konjunktur" verbietet aber überhaupt von einer Gesetzmäßigkeit derselben zu sprechen.

Es gibt keinen wahrhaft regelmäßigen Ablauf des wirtschaftlichen Geschehens, oder aber die Konjunkturforschung ist überflüssig.

Wohl aber gibt es einen gewissen Wirtschaftsrhythmus, der wie jeder Rhythmus von freigewollten und deshalb (einstellbaren) unterlaßbaren aber auch steigerungsfähigen Handlungen bestimmt wird.

Alle Konjunkturen der Wirtschaft sind erst möglich, wenn ein gewisser Großkapitalismus die breite Massenproduktion in der Hand hat, und ohne daß er zu einem Wirtschaftsmonopol sich weiterent

wickelt. Denn im letzteren Falle kann er die Konjunktur beliebig beeinflussen, sie entweder ausnutzen oder aus ebenso guten wirtschaftlichen Gründen beseitigen.

[ocr errors]

Die wirtschaftliche Konjunktur kommt in Angebot und Nachfrage auf dem Warenmarkt und dem Arbeitsmarkt, auch auf dem Geldmarkt und dem Effektenmarkt, zu besonders deutlichem Ausdruck. Unterstützend kann die Vorratsstatistik bei den Erzeugern, die Warenverkehrsstatistik und schließlich die Statistik der effektiven Produktion und Konsumtion herangezogen werden.

Die Konjunkturstatistik bildet also einen ziemlich sicher abgrenzbaren Teil der Wirtschaftsstatistik.

Was uns hier zuerst angeht, das ist die Methodik der Konjunkturstatistik, und insbesondere die Art der Konjunkturbeobachung.

Wie sieht es mit der Anwendung der statistischen Methode im Gesamtgebiet der Konjunkturstatistik aus? Läßt sich die zukünftige Lage der Wirtschaft, des Arbeitsmarktes, des Geldmarktes aus ihr ablesen, wie das Wort,,Konjunktur", das man sich ohne die Beiworte günstig, ungünstig usw. kaum praktisch vorstellen kann, vielleicht vermuten läßt.

Nur bei voller Einstellung der Wirtschaftsstatistik auf die grundlegende Einteilung der theoretischen Nationalökonomie ist eine systematisch brauchbare Konjunkturstatistik möglich; die prophylaktische Aufteilung der praktischen Nationalökonomie war für die historische Entwicklung der Wirtschaftsstatistik andererseits sicherlich vorteilhaft.

Aber eine Konjunkturstatistik, die nach einem ersten Einteilungsprinzip die Landwirtschaft von der Industrie und diese vom Handel und vom Verkehr trennen wollte, käme niemals zur Synthese der Konjunktur, sondern höchstens zur planlosen Darstellung von einzelnen Wirtschaftskrisen.

Meerwarth1) hat durchaus Recht, wenn er sagt, daß der Darstellung eines bestimmten Konjunkturverlaufs gedanklich eine Theorie des Konjunkturverlaufs vorangeht, daß einer Darstellung des Standorts einer Industrie eine Theorie der Standortsfaktoren vorangehen muß. Man teilt den wirtschaftlichen Ablauf gern folgendermaßen auf: Aufschwung, Umschwung, Niedergang, Krise. Durch Krisentheorien versucht man den ganzen Wirtschaftsablauf ursächlich zu erklären. Man meint:

I. bei sinkender Edelmetalleinfuhr wird der Niedergang nachhaltiger (anorganische Theorie);

[blocks in formation]

2. die Ursache des Niedergangs liege in der kapitalistischen Wirtschaftsweise begründet (organische Theorie).

Die die Krise auslösenden Vorgänge liegen dann bei 1. mehr in dem Zufall der Goldproduktion begründet; bei 2. mehr im Zirkulationsprozeß. Ein sehr viel weiter reichendes Konjunkturschema hat Spiethoff aufgestellt.

Stockung

Aufschwung

Krise

Konjunkturschema nach Spiethoff1).

Niedergang

Sinken der Kapitalanlage, des Eisenverbrauchs, der Eisenerzeugung, des Leihzinses.

Erster Anstieg Aufhören der Senkung der Eisenerzeugung, des Eisenverbrauchs, der Kapitalanlage und beginnende schwache Aufwärtsbewegung.

Zweiter Anstieg Erheblich vermehrte Kapitalanlage, namentlich in Aktien. Der Eisenverbrauch nähert sich dem Gipfel des früheren Hochschwungs. Steigender Leihzins, Überhöhung des Eisenverbrauchs.

Hochschwung

Kapitalmangel Schwierigkeit der Kapitalbeschaffung. Abnahme der Kapitalanlage, hoher Leihzins. Abflauen der Aktienkurse, Abnahme des Wohnungsbaus, Abflauen des Eisenverbrauchs.

Zusammenbruch des Kredits; gehäufte Zahlungseinstellungen.

Wenn man die Konjunkturforschung in dieser Breite und Tiefe anlegt, besteht bestimmt Aussicht darauf, Einblicke in die wirtschaftlichen Zusammenhänge zu erlangen, die als Erfahrung zu bewerten sind. Dann gilt es aber zugleich den Kampf gegen die Pseudokonjunkturforschung aufzunehmen.

Die Wirtschaftsgestaltung am Ende eines Jahres bietet gewöhnlich einen hervorragenden Anlaß, die Konjunktur des abgelaufenen Jahres aufzuzeigen. Kaum eine Tageszeitung, die etwas auf sich hält, läßt einen solchen Konjunkturspiegel unbenutzt vorüber. Aber was kann es heißen, wenn z. B. festgestellt wird: Die Zahl der Wechselproteste ist erfreulich gesunken; ihr Betrag ist von sagen wir - 50 Millionen Reichsmark im Januar auf 10 Millionen im Dezember gesunken. Erfreulich wäre diese Erscheinung erst, wenn nicht gleichzeitig die Gesamtwirtschaft etwa ähnlich starke Umsatzrückgänge aufweist, was

1) Nach Spiethoffs Artikel,,Krisen" im Handwörterbuch der Staatswissenschaften, 4. Aufl., übernommen aus der Wirtschaftskurve 1926, III. S. 238, gezeichnet von Dr. Altschul.

aber oft überhaupt nicht in den Gedankenkreis solcher,,Konjunkturforscher" eindringt.

Eine große Vorliebe besteht dafür, konjunkturelle Beobachtungsresultate als,,Wirtschaftsbarometer" zu deklarieren.

Wer von Wirtschaftsbarometer spricht, dürfte nicht nur an den jeweiligen Stand des Wirtschaftswetters denken, sondern noch mehr wohl an die Wirtschaftsaussichten, die sich aus solchem Barometerstand ablesen lassen. Aber wenn man schon von dem besten Wetterglas nur den Luftdruck ablesen kann, und weder die Luftrichtung noch die Luftfeuchtigkeit aus ihm allein erkennen kann, sondern hierzu noch Thermometer, Windfahne und Hygrometer beachten muß, um sich für die nächsten 18-24 Stunden eine Wetterprognose zu erlauben, so bleibt auch für das Wirtschaftswetter nichts anderes übrig, als mehrere Wirtschaftsmaßstäbe zu benutzen.

Seit langer Zeit arbeitet in dieser Hinsicht mit großem Eifer das Harvard-Institut in den Vereinigten Staaten von Nordamerika.

Die drei großen Wirtschaftsanzeiger, die das Harvard-Institut benutzt, sind die Gesamtbewegung 1. auf dem Effektenmarkt, 2. auf dem Warenmarkt, 3. auf dem Geldmarkt.

Die Effekten drücken die Spekulationstendenzen aus, der Warenmarkt die engeren Warenhandelsaussichten, der Geldmarkt die Verschiebung der Gestehungskosten in der nächstfolgenden Produktionsperiode. Die Bewegungen auf dem Warenmarkt werden sich dementsprechend zwischen denen der beiden anderen Märkte abspielen, sie werden auch zeitlich zwischen diesen beiden liegen; denn die Wertpapierspekulation ist immer das feinste Wirtschaftsbarometer, der Bargeldgeber immer der schwerfälligste Wettermacher, wenn und solange einigermaßen,,normale" Zustände im Wirtschaftsleben herrschen.

Aber mit diesen drei Marktbeobachtungen ist die Konjunkturforschung nicht mehr zufrieden; neben die Konjunkturbeobachtung tritt die Strukturbeschreibung der Wirtschaft überhaupt.

§ 118. Struktur und Konjunktur.

Der Strukturbegriff der Wirtschaft verdient eine vollständige Loslösung vom Konjunkturbegriff; Struktur besitzen die Grundlagen der Wirtschaft, Konjunktur zeigen die Phasen der Wirtschaft. Struktur ist ein baulicher Begriff, Konjunktur eine Bewegungserscheinung; Struktur ist fest, und doch mit menschlichem Willen veränderlich, Konjunktur ist beweglich, und in diesen Bewegungen oft kaum noch sichtbar von einem menschlichen Willen geleitet.

Wagemann sagt zutreffend1):,,Die Diskussion über die gegenwärtige Wirtschaftslage in Deutschland und überhaupt in Europa ist höchst widerspruchsvoll. Pessimismus und Optimismus stehen dabei mit mehr oder weniger starken Argumenten einander gegenüber. Offenbar beruht die Gegensätzlichkeit der Meinungen teilweise darauf, daß zwischen zwei Bewegungsreihen, in die sich die Wirtschaftsentwicklung auflöst, nicht genug unterschieden wird. Wie es nämlich bei einer ärztlichen Diagnose häufig darauf ankommt, festzustellen, ob ein Leiden organischer oder funktioneller Art ist, so wird man bei Beurteilung der Wirtschaftslage immer wieder dazu gedrängt, die wirtschaftlichen Strukturveränderungen, welche gemeinsam organische, konstitutionelle Umbildungen der Wirtschaft bedeuten, von den Konjunkturschwankungen zu unterscheiden, die nichts weiter sind, als bestimmte Aufund Abwärtsbewegungen des Wirtschaftslebens, also sozusagen nur funktionelle Erscheinungen."

Eine Mißernte kann eine Agrarproduktenkrise auslösen in dem Lande der Mißernte, sie kann zugleich eine Agrarprodukten-Hochkonjunktur auslösen in nicht von der Mißernte betroffenen Ländern.

Ein Geschmackswechsel der Bevölkerung, wie z. B. die Bevorzugung des Weizengebäcks in Deutschland nach dem Weltkriege, verschiebt dagegen die Struktur des Getreidebedarfs.

Strukturwandlungen sind gewollt, Konjunkturphasen sind im allgemeinen - nicht gewollt. Strukturveränderungen gehen vor aller Augen vor sich, ohne daß sie jedoch von allen gesehen werden müßten; Konjunkturveränderungen dagegen sind Konjunkturschwankungen, oft so überraschend eintretend, daß weite Teile der Wirtschaft unter ihnen leiden müssen, weil sie erst in ihnen Auswirkungen erkennbar werden.

Die wissenschaftliche Erörterung der Konjunkturforschung hat sehr bald zur Erkenntnis dieser grundlegenden Unterschiede von Struktur und Konjunktur geführt. Die Amerikaner haben schon in 1919 die langsamen Schwankungen der Wirtschaft den Saisonschwankungen gegenübergestellt. Das Harvard-Institut hat in 1921 die secular trends von den seasonal trends befreit.

Das Statistische Reichsamt hat Januar 1926 in seiner großen Veröffentlichung,,Die weltwirtschaftliche Lage Ende 1925" strukturelle Erscheinungen (S. 195) vom Konjunkturzyklus (S. 207) geschieden; und das Institut für Konjunkturforschung hat in Heft II S. 1 Fußnote seiner neuen Schriftenreihe (1926) die Konjunktur begrifflich getrennt.

1) Vierteljahrshefte zur Konjunkturforschung. Herausgegeben vom Institut für Konjunkturforschung. Berlin. 1. Jahrgang. 1926. Heft 2, S. 7.

« AnteriorContinuar »