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Differenzierung wirklich so absolut entgegengesetzt ist, wie es scheint. Durch die ganze Natur hindurch sehen wir das Streben der Lebewesen, höher zu kommen, über ihre augenblickliche Stellung hinweg eine günstigere zu erwerben; in der Menschenwelt steigert sich dies zu dem lebhaftesten bewusste Wunsch, mehr zu haben und zu geniefsen, als jeder gegebene Augenblick es darbietet, und die Differenzierung ist nichts als das Mittel dazu oder die Folge davon. Niemand begnügt sich mit der Stellung, die er seinen Mitgeschöpfen gegenüber einnimmt, sondern jeder will eine in irgendeinem Sinne günstigere erobern, und da die Kräfte und Glücksfalle verschieden sind, so gelingt es Einem, sich über die grofse Mehrzahl der andern mehr oder weniger hoch zu erheben. Wenn nun die unterdrückte Majorität den Wunsch nach erhöhter Lebenshaltung weiter empfindet, so wird der nächstliegende Ausdruck dafür sein, dafs sie dasselbe haben und sein will, wie die obern Zehntausend. Die Gleichheit mit den Höheren ist der erste sich darbietende Inhalt, mit dem sich der Trieb eigener Erhöhung erfüllt, wie es sich in jedem beliebigen engeren Kreise zeigt, mag es eine Schulklasse, ein Kaufmannsstand, eine Beamtenhierarchie sein. Das gehört zu den Gründen der Thatsache, dafs der Groll des Proletariers sich meistens nicht gegen die höchsten Stände, sondern gegen den Bourgeois wendet; denn diesen sieht er unmittelbar über sich, er bezeichnet für ihn diejenige Staffel der Glücksleiter, die er zunächst zu ersteigen hat, und auf die sich deshalb für den Augenblick sein Bewusstsein und sein Wunsch nach Erhöhung konzentriert. Der Niedere will zunächst dem Höheren gleich sein; ist er ihm aber gleich, so zeigt tausendfache Erfahrung, dafs dieser Zustand, frther der Inbegriff seines Strebens, nichts weiter als der Ausgangspunkt für weiteres ist, nur die erste Station des ins Unendliche gehenden Weges zur begünstigtsten Stellung. Überall, wo man die Gleichmachung zu verwirklichen suchte, hat sich von diesem neuen Boden aus das Streben des Einzelnen. die Andern zu überflügeln, in jeder möglichen Weise geltend gemacht; so z. B. in der häufigen Thatsache, dafs sich über dem vollzogenen socialen Nivellement die Tyrannis erhebt. Frankreich, wo von der grofsen Revolution her die Gleichheitsideen noch am energischsten wirkten, und wo die Julirevolution diese Traditionen wieder aufgefrischt hatte, tauchte doch kurz nach der letzteren neben der schamlosen Pleonexie Einzelner eine allgemeine Ordenssucht auf, ein unstillbares Verlangen, sich durch ein Bändchen im Knopfloch vor der grofsen Menge auszuzeichnen. Und es giebt vielleicht keinen treffenderen Beweis für unsere Vermutung über den psychologischen Ursprung der Gleichheitsidee, als die Äufserung einer Kohlenträgerin aus dem Jahre 1848 zu einer vornehmen

Forschungen (42) X. 1.

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Simmel.

7

In

Dame: „Ja, gnädige Frau, jetzt wird alles gleich werden: ich werde in Seide gehen und Sie werden Kohlen tragen" eine Äufserung, deren historische Zuverlässigkeit gleichgültig ist gegenüber ihrer innern psychologischen Wahrheit.

Diese Genesis des Socialismus bedeutete freilich den denkbar schärfsten Gegensatz gegen die meisten theoretischen Begründungen desselben. Für diese ist die Gleichheit der Menschen ein durch sich selbst gerechtfertigtes, für sich bestehendes und befriedigendes Ideal, eine ethische causa sui, ein Zustand, dessen Wert unmittelbar einleuchtet. Ist er statt dessen nur ein Durchgangspunkt, nur das zunächst erreichbare Ziel der Pleonexie der Massen, so verliert er den kategorischen und idealen Charakter, den er nur deshalb angenommen hat, weil den meisten Menschen derjenige Punkt ihres Weges, den sie zunächst erreichen müssen, so lange er noch nicht erreicht ist, als ihr definitives Ziel vorschwebt. Es ist durchaus kein anderes Interesse, aus dem der Niedrigstehende die Gleichheit durchsetzen will, als es der Höhere an der Erhaltung der Ungleichheit hat; wenn diese Forderung indes durch langen Bestand ihren relativen Charakter verloren und sich verselbständigt hat, so kann sie auch zum Ideal solcher Personen werden, bei denen sie jene Genesis subjektiv nicht durchgemacht hat. Die Behauptung eines logischen Rechtes der Gleichheitsforderung als folgte es analytisch aus der Wesensgleichheit der Menschen, dafs auch ihre Rechte, Pflichten und Güter jeder Art gleich sein müfsten hat nur den alleroberflächlichsten Schein für sich; denn erstens geht aus einem wirklichen Verhalten nie vermöge der blofsen Logik ein blofs Gesolltes, nie vermöge dieser aus einer Realität ein Ideal hervor, sondern es bedarf dazu stets eines Willens, der sich aus dem blofsen logisch theoretischen Denken nie ergiebt; zweitens giebt es insbesondere keine logische Regel, nach der die substantielle Gleichheit von Wesen ihre funktionelle Gleichheit zur Folge haben müfste. Drittens ist aber auch die Gleichheit der Menschen als solcher eine sehr bedingte, und es ist völlig willkürlich, über demjenigen, worin sie gleich sind, ihre vielfachen Verschiedenheiten zu vernachlässigen und an den blofsen Begriff Mensch, unter dem wir so verschiedenartige Erscheinungen zusammenfassen, derartig reale Folgen knüpfen zu wollen ein Überbleibsel des Begriffsrealismus der Naturauffassung, der statt des spezifischen Inhalts der einzelnen Erscheinung nur den Allgemeinbegriff, dem sie zugehörte, ihr Wesen ausmachen liefs. Die ganze Vorstellung von dem selbstverständlichen Rechte der Gleichheitsforderung ist nur ein Beispiel für die Neigung des menschlichen Geistes, die Resultate historischer Prozesse, wenn sie nur hinreichend lange bestanden haben, als logische Notwendigkeiten anzusehen. Suchen wir aber nach dem

psychischen Triebe, dem die Gleichheitsforderung der unteren Stände entspricht, so finden wir ihn nur in demjenigen, der gerade auch der Ursprung aller Ungleichheit ist, in dem Triebe nach Glückserhöhung. Und da dieser ins Unendliche geht, so ist durchaus keine Gewähr dafür gegeben, dafs die Herstellung eines gröfsten socialen Niveaus im Sinne der Gleichheit nicht zum blofsen Durchgangspunkt für weiter wirkende Differenzierung werde. Deshalb muss der Socialismus zugleich auf ein gröfstes sociales Niveau im Sinne des Kollektivbesitzes halten, weil hierdurch den Individuen mehr und mehr die Gelegenheit und der Gegenstand individueller Auszeichnung und Differenzierung entzogen wird.

Es ist indes noch immer die Frage, ob nicht die geringfügigen Unterschiede des Seins und Habens, die selbst die gesteigertste Socialisierung nicht beseitigen kann, dieselben psychologischen und also auch aufseren Folgen haben würden, wie jetzt die viel gröfseren. Denn da es nicht die absolute Gröfse eines Eindrucks oder eines Objekts ist, die unsere Reaction darauf bestimmt, sondern sein Unterschied gegen anderweitige Eindrücke, so kann eine gewachsene Unterschiedsempfindlichkeit an die verringerten Differenzen unverringerte Folgen knüpfen. Allenthalben findet dieser Prozess statt. Das Auge pafst sich an geringe Helligkeitsgrade derart an, dafs es schliesslich die Farbenunterschiede ebenso empfindet wie früher nur in viel hellerer Beleuchtung; die geringen Differenzen in Stellung und Lebensgenufs, die sich innerhalb des gleichen socialen Kreises finden, erregen einerseits Neid und Nacheiferung, andererseits Hochmut, kurz alle Folgen der Differenzierung in demselben Grade, wie die zwischen sehr getrennten Schichten bestehenden Unterschiede u. s. w. Ja, es ist sogar vielfach zu beobachten, dafs die Empfindung des Unterschiedes gegen andere Personen um so schärfer ist, je mehr wir im übrigen mit ihnen gemeinsam haben. Deshalb sind einerseits diejenigen Folgen der Differenzierung, die dem Socialismus als schädliche und zu beseitigende erscheinen, noch keineswegs durch ihn aufgehoben; andererseits aber sind die Kulturwerte der Differenzierung nicht in dem Masse von ihm bedroht, wie seine Gegner es wollen; die Anpassung unserer Unterschiedsempfindlichkeit kann eben den geringeren persönlichen Differenzen eines socialisierten Zustandes die gleiche Macht nach der guten wie nach der schlechten Seite verschaffen, wie die jetzigen sie besitzen.

V.

Über die Kreuzung socialer Kreise.

Der Unterschied des vorgeschrittenen vor dem roheren Denken zeigt sich am Unterschied der Motive, welche die Associationen der Vorstellungen bestimmen. Das zufällige Zusammensein in Raum und Zeit reicht zunächst hin, um die Vorstellungen psychologisch zu verknüpfen; die Vereinigung von Eigenschaften, die einen konkreten Gegenstand bildet, erscheint zunächst als ein einheitliches Ganzes, und jede derselben steht mit den andern, in deren Umgebung allein man sie kennen gelernt hat, in engem associativem Zusammenhang. Als ein für sich bestehender Vorstellungsinhalt wird sie erst bewusst, wenn sie in noch mehreren und andersartigen Verbindungen auftritt; das Gleiche in allen diesen tritt in helle Beleuchtung und zugleich in gegenseitige Verbindung, indem es sich von den Verknüpfungen mit dem sachlich Andern, nur im zufälligen Zusammensein am gleichen Gegenstand mit ihm Verbundenen mehr und mehr frei macht. So erhebt sich die Association über die Anregung durch das aktuell Wahrnehmbare zu der auf dem Inhalt der Vorstellungen rubenden, auf der die höhere Begriffsbildung sich aufbaut, und die das Gleiche auch aus seinen Verschlingungen mit den verschiedenartigsten Wirklichkeiten herausgewinnt.

Die Entwicklung, die hier unter den Vorstellungen vor sich geht, findet in dem Verhältnis der Individuen untereinander eine Analogie. Der Einzelne sieht sich zunächst in einer Umgebung, die, gegen seine Individualität relativ gleichgültig, ihn an ihr Schicksal fesselt und ihm ein enges Zusammensein mit denjenigen auferlegt, neben die der Zufall der Geburt ihn gestellt hat; und zwar bedeutet dies Zunächst sowohl die Anfangszustände phylogenetischer wie ontogeneti

scher Entwicklung. Der Fortgang derselben aber zielt nun auf associative Verhältnisse homogener Bestandteile aus heterogenen Kreisen. So umschliefst die Familie eine Anzahl verschiedenartiger Individualitäten, die zunächst auf diese Verbindung im engsten Mafse angewiesen sind. Mit fortschreitender Entwicklung aber spinnt jeder Einzelne derselben ein Band zu Persönlichkeiten, welche aufserhalb dieses ursprünglichen Associationskreises liegen und statt dessen durch sachliche Gleichheit der Anlagen, Neigungen und Thätigkeiten u. s. w. eine Beziehung zu ihm besitzen; die Association durch äufserliches Zusammensein wird mehr und mehr durch eine solche nach inhaltlichen Beziehungen ersetzt. Wie der höhere Begriff das zusammenbindet, was einer grofsen Anzahl sehr verschiedenartiger Anschauungskomplexe gemeinsam ist, so schliefsen die höheren praktischen Gesichtspunkte die gleichen Individuen aus durchaus fremden und unverbundenen Gruppen zusammen; es stellen sich neue Berührungskreise her, welche die früheren, relativ mehr naturgegebenen, mehr durch sinnlichere Beziehungen zusammengehaltenen, in den mannichfaltigsten Winkeln durchsetzen.

Eins der einfachsten Beispiele ist das angeführte, dafs der ursprüngliche Zusammenhang des Familienkreises dadurch modifiziert wird, dafs die Individualität des Einzelnen diesen in anderweitige Kreise einreiht; eins der höchsten die „Gelehrtenrepublik", jene halb ideelle, halb reale Verbindung aller in einem so höchst allgemeinen Ziel wie Erkenntnis überhaupt sich zusammenfindenden Persönlichkeiten, die im übrigen den allerverschiedensten Gruppen in Bezug auf Nationalität, persönliche und specielle Interessen, sociale Stellung u. s. w. angehören. Noch stärker und charakteristischer als in der Gegenwart zeigte sich die Kraft des geistigen und Bildungsinteresses, das Zusammengehörige aus höchst verschiedenen Kreisen heraus zu differenzieren und zu einer neuen Gemeinschaft zusammenzuschliefsen, in der Renaissancezeit Das humanistische Interesse durchbrach die mittelalterliche Absonderung der Kreise und Stände und gab Leuten, die von den verschiedensten Ausgangspunkten hergekommen, und die oft noch den verschiedensten Berufen treu blieben, eine gemeinsame aktive oder passive Teilnahme an Gedanken und Erkenntnissen, welche die bisherigen Formen und Einteilungen des Lebens auf das mannichfaltigste kreuzten. Die Vorstellung herrschte, dafs das Bedeutende zusammengehöre; das zeigen die im XIV. Jahrhundert auftauchenden Sammlungen von Lebensbeschreibungen, die eben ausgezeichnete Leute als solche in einem einheitlichen Werke zusammen schildern, mochten sie nun Theologen oder Künstler, Staatsmänner oder Philologen sein. Nur so ist es möglich, dafs ein mächtiger König, Robert von Neapel, mit dem Dichter Petrarka Freund

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