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vorbereiteten Boden. Für den vous, den hóyos tou navτós trafen sie den 9ɛóg oder λóyos; das christliche Universalreich war mit dem Weltstaate der antiken Philosophen verwandt; der angenommene Naturzustand der griechisch-römischen Denker erhielt durch die christliche Lehre vom Paradiese die kräftigste Bestätigung: die Gleichheit aller Vernunftwesen hatte in der Gotteskindschaft aller Menschen ihr Gegenstück. Aber schon früh scheinen die stoischen Gedankenelemente auf die seltsamste Weise mit epikureischen Bestandteilen verquickt worden zu sein. Wenn alle Menschen von einem Paare abstammten und ursprünglich in einem staatenlosen Zustande gelebt hatten, dann war die Frage nicht zu vermeiden, wie denn der Staat_entstanden sei. Sie wurde brennend, als Gregor VII. das Band zwischen Universalkirche und Universalreich zerrifs. Unter dem Einflusse der von der Antike genährten philosophischen Staatslehre fängt man an, die Entstehung des Staates auf Naturtrieb und menschliche Willensvorgänge zurückzuführen. Der göttliche Wille," sagt Gierke, wird zwar als wirkende Ursache festgehalten, allein er tritt in die Rolle der causa remota zurück“ 1. Ein Jahrhundert später, zuerst zur Zeit des Investiturstreites, entwickelt sich die Lehre vom Staatsvertrage. Woher kommt sie? Gierke meint: „Die kirchlichen Vorstellungen von einem ursprünglichen Naturzustande, in dem es weder Eigentum noch Herrschaft gegeben haben sollte, waren ihr förderlich.“ Da nun hiermit, wie die Lehre der Stoa beweist, noch nicht die Lehre vom Staatsvertrage gegeben war, so verweist Gierke auf „mancherlei Erinnerungen aus der germanischen Rechtsgeschichte und die vertragsmässige Ausgestaltung so vieler geltender öffentlicher Rechtsverhältnisse durch Vereinbarung zwischen Fürsten und Ständen ... Vor allem aber entschied über ihren Sieg die Auffassung, welche man über den Ursprung der höchsten irdischen Gewalt, in der man das Muster aller Staatsgewalt erblickte, mehr und mehr entwickelte. Die Jurisprudenz war auf Grund ihrer Quellen von vornherein darüber einig, dafs die kaiserliche Gewalt als Nachfolgerin in das imperium der römischen Cäsaren zuletzt auf der durch die lex regia vollzogenen einstmaligen Volksübertragung beruhe" 2.

Aber ist denn nicht vielleicht doch die Wiedererweckung

wir aus allen Perioden der mittelalterlichen Zeit handschriftliche Kopieen klassischer Autoren, die doch ein thätiges Interesse für die Litteratur bezeichnen. Derselbe Verfasser schreibt: „Die blofse Belesenheit ist noch lange nicht jene einseitige Begeisterung der Humanisten An Kenntnisnahme und selbst Interesse für das Altertum hat es zu keiner Zeit ganz gefehlt." Bd. II, p. 265.

1 Gierke, Joh. Althusius und die Entwicklung der naturrechtlichen Staatstheorieen. Breslau 1880. p. 63.

2 a. a. O. S. 77.

des epikureischen Systems von Einfluss gewesen? Gierke leugnet ohne jedoch Gründe für seine Ansicht anzuführen 1.

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Seit dem Ende des 13. Jahrhunderts stellte die philosophische Staatslehre das Axiom auf, dafs der Rechtsgrund aller Herrschaft in freiwilliger und vertragsmäfsiger Unterwerfung der beherrschten Gesamtheit liege" 2. Über die Natur der Herrschaftseinräumung bestand eine Kontroverse zwischen den Verfechtern der translatio und den Anhängern der concessio, zwei Worten, welche den Inhalt der von ihnen bezeichneten Begriffe ohne weitere Erläuterung erkennen lassen. Aus der Annahme der concessio ging schon im Mittelalter die Lehre von der Volkssouveränetät hervor3.

So durchkreuzen sich zu Ende des Mittelalters stoische und epikureische Gedanken: das ewige, für alle Zeiten und Völker geltende Naturrecht und die Lehre vom Staatsvertrage. Aber diese Ideen liefsen sich ebensowohl miteinander, wie mit der christlichen Lehre verbinden. Nach der Stoa war ja auf das goldene Zeitalter eine Periode der Verderbnis gefolgt, welche das positive Gesetz zur Folge hatte. Wenn man sich nun diese Zeit in der Weise der Epikureer dachte, so konnte man sehr wohl die Lehre vom Staatsvertrage an diejenige vom ewigen natürlichen Vernunftrechte reihen. Ins Christliche übersetzt, hiefs dies: Die von Gott nach seinem Ebenbilde geschaffenen Menschen lebten ursprünglich im Paradiese; während dieses Zustandes völliger Unschuld standen sie allein unter dem direkt ausgesprochenen Gesetze Gottes. Infolge der Sünde wurden sie aus dem Paradiese verstofsen; Habsucht und Mord entzweiten sie; sie zerstreuten sich über die Erde und lebten ein unsicheres und jämmerliches Leben. Um ihr Dasein zu schützen, gründeten sie endlich den Staat durch einen Vertrag. Obwohl ihre Fähigkeiten geschwächt waren, gestattete ihnen die Thatsache, dafs sie nach dem Ebenbilde Gottes geschaffen waren, mit Hilfe ihrer Vernunft das Naturrecht zu finden.

1 Ich stelle natürlich nur eine Hypothese auf und begnüge mich daher, eine Stelle aus dem genannten Werke von Guyau hieher zu setzen, welche beweist, wie sehr die epikureische Lehre, die im ganzen Mittelalter bekannt blieb, im 12. Jahrhundert an Kraft gewonnen hatte. „Au commencement du douzième siècle, lorsque un courant d'incrédulité commença à se produire en Europe et surtout en Italie, lorsque des sociétés secrètes se formèrent pour la destruction du christianisme, les plus logiques parmi ces partisans d'un esprit nouveau n'hésitèrent pas à invoquer le nom d'Epicure. A Florence, en 1115, un parti d'Epicuriens se forma, assez fort pour devenir le sujet de troubles sanglants. L'hérésie des Epicuriens, remarque Benvenuto d'Imola, était entre toutes celle qui comptait les plus nombreux partisans" u. s. w. p. 191. Und Windelband, Geschichte der neueren Philosophie, Leipzig 1878, sagt ausdrücklich: Freilich war der Epikureismus niemals völlig vergessen worden. In der poetischen Darstellung des Lucrez und in der Reproduktion der Schriften Cicero's war er bekannt geblieben“, Bd. I, p. 19.

2 Gierke, p. 78. 3 Gierke, p. 123. Forschungen (43) X 2.

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Hasbach.

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Wenn wir uns, an diesem Punkte angekommen, die Entwicklung der Lehren vom natürlichen Rechte noch einmal zu vergegenwärtigen suchen, so zeigt sich, dafs sie teilweise in den Schriften der griechischen und römischen Philosophen, teilweise in den Pandekten, teilweise in mittelalterlichen Werken vorgetragen worden waren. Es bedarf keiner Ausführung, dafs man nicht alle Quellen gleichmässig eröffnet hatte. Dies geschah durch die Renaissance.

Drittes Kapitel.

Die Ausbildung des Naturrechts als selbständige Wissenschaft.

Wir stehen an der Schwelle jener grofsen Zeit, wo die mittelalterliche Bildung, die mittelalterliche religiöse Weltanschauung und der mittelalterliche Staatsbegriff vor den gewaltigsten Angriffen teils erlagen, teils zurückwichen. Man hat es oft versucht, die Gruppen von Streitern für die Entwicklung der modernen geistigen Welt als Kämpfer darzustellen, die auf verschiedenen Schlachtfeldern für die eine Idee der Menschenbefreiung fochten: Humanismus, Reformation, die moderne Politik seien nur Glieder einer grofsen Kette. Es läfst sich nicht verkennen, dafs diese drei Richtungen Berührungspunkte aufweisen, hie und da ineinander übergehen und sich gegenseitig unterstützen; das liegt im Wesen oppositioneller Bestrebungen. Im Jahre 1848 gingen auch, um Grofses mit Kleinem zu vergleichen, Zünftler und Socialisten zuweilen zusammen, weil sie sich des gemeinsamen Gegensatzes klarer als der entgegengesetzten Ziele bewufst waren. Die vorher gekennzeichneten Richtungen sind aber in ihrem Ursprunge, wie mir scheint, sehr deutlich von einander getrennt. In diesem Punkte weisen sie nur die äufsere Verwandtschaft auf, dafs sie im Kampfe für das Zukünftige gegen das Gegenwärtige auf die Vergangenheit zurückgehen.

Der Humanismus will das Altertum wieder erwecken; er setzt sich dadurch zunächst in den schneidendsten Gegensatz gegen die Methode der mittelalterlichen Wissenschaft und deren Darstellungsform; allmählich wird er dazu fortgetrieben, die Wissenschaft der Alten über die mittelalterliche Scholastik zu stellen und zuletzt heidnisch zu fühlen und zu denken.

Aus

dem Humanismus gehen die Philosophie und die Philologie der Übergangszeit hervor.

Die antiken Systeme werden erneuert, die platonischen Studien leben wieder auf, der wahre Aristoteles wird entdeckt, um Zeno und Epikur, ja Pyrrho und Empedokles scharen sich Jünger. Der hervorragendste Erneuerer der stoischen Philosophie ist der Niederländer Justus Lipsius, welcher beinahe ein Vierteljahrhundert an der Universität Leyden wirkte; der erfolgreiche Vorkämpfer des Epikureismus heifst bekanntlich Pierre Gassendi; sein Einfluss auf die neuere Philosophie ist durch Lange und Guyau ins Licht gestellt worden1. Und nicht nur den metaphysischen Ansichten der alten Philosophen gilt die Aufmerksamkeit von Schöngeistern, Gelehrten und Philosophen, auch ihre ethischen Lehren erwarben sich Anhänger.

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Zunächst fand dasjenige System Bewunderer, dessen unbeugsame Tugendstrenge sich noch am leichtesten mit dem Christentum verträgt, nämlich das stoische; man wollte noch im Schatten der Kirche weilen, man war sich wohl auch nicht des tiefen Gegensatzes zwischen antiker und christlicher Ethik voll bewusst. Die antike Anschauung schreibt dem Menschen die Fähigkeit zu, das Gute aus sich selbst zu schaffen: dieses ist folglich natürlich. Dagegen läfst die christliche Lehre die göttliche Gnade entweder Alles, oder doch das Wesentliche in der verderbten Menschennatur wirken; das Sittliche erscheint hiernach als etwas Unnatürliches. Dabei wird von dem zwei Jahrhunderte nach Christus gestifteten Neuplatonismus abgesehen, den man nicht als ein reines System der antiken Philosophie betrachten kann, und dessen asketisch - ekstatisches Ideal dem christlichen verwandt ist 2.

Aber auch dem Epicureismus, der nach Gass Italien innerlich beherrschte3, erwuchs ein geistvoller Vertreter in Valla, welcher ein Werk, De voluptate" schrieb. Wie diese Be

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1 Siehe „Justi Lipsi Manuductio ad Stoicam Philosophiam" und dessen ,,Physiologia Stoicorum" in der Gesamtausgabe seiner Schriften, Bd. IV, Vesaliae 1675.

2 Für das Interesse des italienischen Humanismus an der stoischen Philosophie manche Zeugnisse bei G. Voigt, Die Wiederbelebung des klassischen Altertums. Dafs Petrarka die stoische Philosophie auch in seinem Leben darstellen wollte, Bd. I, p. 97; dafs seit Petrarka und Salutato die Humanisten sich insgesamt zur Stoa bekannten und sie ́mit der christlichen Lehre auszugleichen suchten", Bd. I, p. 468. Lionardo Bruni schrieb ein kleines Handbuch der Moral, in welchem er die stoische mit der epikureischen Lehre verglich, der ersteren den Vorzug gab und sie mit der christlichen Ethik in Verbindung zu setzen suchte, Bd. II, p. 458. Bd. II, p. 459 nennt Voigt ihre Schulweisheit „Stoizismus mit christlichem Aufputz". Von Salutato heifst es: „Lebenserfahrung und Nachdenken haben ihn mit dem Begriff der stoischen Tugend erfüllt", Bd. II, p. 475. Siehe auch die längere Stelle Bd. II, p. 468.

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Cass Geschichte der christlichen Ethik, Bd. II, 1, p. 16.

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