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Siebentes Kapitel.

Die Politische Ökonomie des 18. Jahrhunderts und der Rückschlag gegen die herrschenden Ideen der Zeit.

In den vorhergehenden Kapiteln haben wir die Gestaltung der modernen Lebensanschauung verfolgt, insofern dadurch ein Licht auf die Entwicklung der politischen Ökonomie geworfen

wird.

Es schien uns, dafs die Theorien und Doktrinen, die zur Durchsetzung der Ansprüche aufgestellt werden, welche Bedürfnisse und Gefühle mächtiger Bruchteile eines Volkes erheben, nicht in dem Geiste hervorragender Zeitgenossen ihren Ursprung zu haben brauchen. Ideen, welche schon vor Jahrtausenden ihre Kraft erprobten, müssen neuen Veränderungen die Wege ebnen. Der Vorteil, welcher hierdurch dem Streben gesichert wird, zieht aber auch bedeutende Nachteile nach sich. Überlebte Vorstellungen und Begriffe, welche die Voraussetzung der Ideale bilden, erheben sich aus dem Grabe und verwirren die Geister auf Jahrhunderte. Der Kampf der modernen Völker für die Freiheit auf allen Gebieten wurde mit Hilfe des Naturrechtes ausgekämpft, das die Stoiker und Epikureer von durchgebildeten Weltanschauungen ausgeprägt haben. So sind wir mit allen Irrtümern des antiken Individualismus gestraft worden, welcher einen grofsen Teil der Wohltaten wieder wett macht. Wie nachteilig die Ideen des Altertums auf unsere sociale und politische Entwicklung eingewirkt, ist hier nur zu einem geringen Teile zur Darstellung gekommen, aber auch das wenige genügt, um jeden Unbefangenen davon zu überzeugen, dafs der antike Individualismus auch ein Element der Auflösung für die modernen Völker gewesen ist.

Diejenigen, welche dem modernen Individualismus am meisten zum Siege verholfen haben, sind Locke und Shaftes

bury. Der eine proklamierte das unbegrenzte Recht des Individuums, der andere seine unbegrenzte Güte und sittliche Befähigung, beide suchten die Kraft aller das Ganze zusammenhaltenden Gewalten zu lähmen, und der letztere bahnte aufserdem der Anschauung den Weg, dafs der Individualismus im Plane Gottes liege.

So erhielt der moderne Individualismus seinen fest umrissenen Charakter. Er verlangt die Freiheit nicht blo's, wo sie zweckmäfsig ist, er verlangt sie schlechthin als ein Recht, und dieses Recht soll überall dasselbe sein, und ein gleiches Recht und ein gleiches Gesetz soll es sein für alle. Da er für das Gerechte zu kämpfen glaubt, wird er fanatisch, sobald er Widerstand findet. Den Widerstand kann er sich nicht aus loyalen Beweggründen erklären, er sieht nur schmutzige Ränke, niedrige Interessen, boshafte Tyrannei, er verleumdet, er verdächtigt, er beschmutzt, denn nur ein entartetes Geniüt kann sich der Erkenntnis des Rechtes verschliessen. Und umgekehrt erblickt er in seinen theoretischen Betrachtungen nur immer gute Menschen, die mit aller schuldigen Rücksicht vor ihrer erhabenen Menschlichkeit behandelt werden müssen. Wo sich aber die Wirkungen nicht einstellen, welche man von ihnen unter der Einwirkung bestimmter Gesetze hätte erwarten dürfen, da beschönigt er, verhüllt er und verzweifelt nicht. Denn er hat ein unbegrenztes Vertrauen zur menschlichen Natur, sie wird sich allmählich in die neuen Zustände hineinfinden; die guten Folgen werden nicht ausbleiben. Ein höchstes Wesen voller Güte lenkt die Welt und hat alles zum Besten geordnet. Doch gegen einen Vorwurf möchte ich den modernen Individualismus in Schutz nehmen. Es heifst, er spreche immer nur von den Rechten des Individuums, aber er vergesse es, die entsprechenden Pflichten zu erwähnen. Dies trifft auf die hervorragendsten Vertreter des 18. Jahrhunderts nicht zu: ich meine die Hutcheson, Quesnay, Smith und Wolff, wenn es gestattet ist, diesen hier zu erwähnen.

Von solchen Anschauungen waren diejenigen erfüllt, welche die französisch-englische politische Ökonomie des 18. Jahrhunderts begründet haben. Ich hätte mein Ziel erreicht, wenn mir der Nachweis gelungen wäre, dafs diese politische Ökonomie wie wahrscheinlich keine andere Wissenschaft in dem innigsten Zusammenhange mit der modernen Philosophie herangewachsen ist. Von wenigen ihrer Zweige, wie der Ästhetik und der formalen Logik, ist nicht zum Aufbau der politischen Ökonomie beigetragen worden. Alle anderen haben, wenn auch in ungleichem Grade, mitgewirkt: das Naturrecht, die Ethik, die natürliche Theologie, die Naturphilosophie, die Psychologie, die Methodenlehre. Aus dem Naturrechte ist die politische Ökonomie als systematische Wissenschaft hervorgegangen. Er verlieh ihr den Charakter des Individualismus; in ihm reifte die Idee der wirt

schaftlichen Freiheit, sein Rahmen war weit genug, um theoretische Erkenntnisse aufzunehmen. An zweiter Stelle ist die Ethik zu nennen. Ihre Lehren klärten die Nationalökonomen über die Macht und den sittlichen Wert der menschlichen Triebe, insbesondere des Erwerbstriebes für die menschliche Wirtschaft auf. Das sittliche Walten des Privatinteresses erschien gewissermassen als der psychologisch - ethische Inhalt, der die rechtliche Form /der wirtschaftlichen Freiheit erfüllen sollte. Ihre Lehren stellten die Nationalökonomie auf den Boden der modernen Lebensanschauung, zugewandt wirtschaftlich-technischer Kultur, abgewandt dem christlichen Lebensideale. Von den psychologisch-sociologischen Voraussetzungen aus, welche im wesentlichen die des epikureischen Naturrechtes sind, wurden die ethisch - socialen Grundlagen der englischen Nationalökonomie geschaffen. Die naturrechtlichen Fundamente wurden verstärkt und für den Aufbau eines Systems der politischen Ökonomie hergerichtet. Drittens müssen wir die Naturphilosophie erwähnen. Der Geist Newtons, welcher in den Schriften Shaftesburys und der Deisten. eine gröfsere Wirkungsfähigkeit erhielt, liefs die späteren die Harmonie einer individualistischen Wirtschaftsordnung in den Schranken von Sitte und Recht erkennen. Der sich den Geboten der Gerechtigkeit unterwerfende Erwerbstrieb erschien nun nicht nur als sittlich zulässig, sondern auch als ein Mittel zur Auswirkung des göttlichen Weltenplanes. Aber noch andere Beziehungen bestehen zwischen der politischen Ökonomie und der Naturphilosophie. Die innerhalb der letzteren ausgebildete Methode wurde auf die Nationalökonomie übertragen und die mechanistische Psychologie erleichterte die Anwendung des deduktiven Verfahrens aus der Prämisse des universellen Eigennutzes, aber schon im 18. Jahrhundert wird die wissenschaftliche Beobachtung als die eigentliche Methode der politischen Ökonomie bezeichnet.

Die eingehendere Verfolgung dieser Ergebnisse der Untersuchung würde den Lehrer ermüden. Aber auch dieser flüchtige Überblick über die allgemeinen philosophischen Grundlagen unserer Wissenschaft zeigt, dafs Philosophen die Bildner der politischen Ökonomie gewesen sind. Wir müssen zu Hobbes und Locke, Pufendorf und Hutcheson, Shaftesbury und Mandeville, Bacon und Descartes mit eben derselben Verehrung aufblicken, wie die Jünger der Philosophie. Wahrscheinlich hat Cumberland den gröfsten Einfluss auf Quesnay gehabt. Mandeville bildete die von Hobbes entworfenen ethisch-socialen Grundlagen des Naturrechtes zu denjenigen der englischen politischen Ökonomie um, Locke entwarf die rechtlichen Grundlagen einer freiheitlichen Wirtschaftsordnung, Shaftesbury richtete die Blicke auf die sittlichen Bedingungen der modernen Kultur und schuf das Fundament einer optimistischen Betrachtung einer rein individualistischen Wirtschaftsordnung, Descartes und Bacon sind die Väter der auch in der Nationalökonomie angewendeten Methode,

wobei allerdings zu bemerken ist, dafs es Hobbes war, welcher die mathematische Methode zum deduktiven Verfahren aus der Prämisse des universellen Egoismus gestaltete. Descartes entwarf die Mechanik der Leidenschaften, Pufendorf ist der Schöpfer des systematischen Naturrechtes und bis zu einem gewissen Grade auch der systematischen Nationalökonomie, nach dieser Seite hin hat Hutcheson das Werk unseres grofsen Landsmannes wertvoll ergänzt und damit seinem Schüler Adam Smith vorgearbeitet. Da aber die Entwicklung dieses Teils unserer Wissenschaft in keinem inneren Verhältnis zu ihren allgemeinen philosophischen Grundlagen steht, so mufs ich diesen Punkt hier übergehen.

Einige dieser Denker sind die Vorgänger Smiths, andere Quesnays, einige, wie Shaftesbury und Locke, beider. Sowohl der Franzose wie der Schotte offenbaren bei näherer Betrachtung diejenige Originalität, welche Fremdes mit dem eigenen Geiste so völlig zu durchdringen vermag, dafs es als ein Neues und Selbständiges erscheint. Dieser Assimilierungsprozefs geht, soviel ich das zu beurteilen vermag, bei Quesnay kräftiger und reinlicher vor sich, als bei Adam Smith. Ist so zwischen dem philosophischen Fundamente ihrer Lehren und auch zwischen ihrer Geistesrichtung soviel Übereinstimmung vorhanden, dass man sie als die Begründer der englisch - französischen Nationalökonomie bezeichnen darf, so zeigen ihre Werke doch andererseits die gröfsten Verschiedenheiten. Der Franzose wird mehr von den naturwissenschaftlichen und naturrechtlichen Ideen der Zeit erfasst, der Schotte mehr von der Moralphilosophie und der Psychologie seines Vaterlandes. In einer andern Form ausgesprochen: die Ethik und die Psychologie ist nicht die starke Seite der französischen Schule, Mercier de la Rivière, der treueste Interpret des Meisters, zeigt nach dieser Richtung ein unklares Schwanken. Dagegen offenbart Adam Smith, eine wie starke Gewalt die naturrechtlichen Ideen auch über ihn gewinnen, eine viel ausgeprägtere Fähigkeit die Ethik weiterzubilden und die ethische Seite des Wirtschaftslebens zu sehen. Auf dem Gebiete der Moralphilosophie ist seine Theorie geschlossen, hier ist er zur vollsten Klarheit über seine eigentümliche Stellung gelangt. Er ist ein gröfserer Philosoph als Quesnay, aber auch ein Nationalökonom von geringerer selbständiger Kraft als dieser. Das wird noch deutlicher werden, wenn man die national - ökonomischen Vorgänger beider Männer einmal völlig zu überblicken vermag. Adam Smith ist auch viel stärker in dem politischen und wirtschaftlichen Individualismus stecken geblieben, während Quesnay die Kulturaufgabe des modernen Staates wohl erkannte. Das wahrhaft Originelle Quesnays dagegen liegt in seiner organischen Theorie des Wirtschaftslebens und der daraus fliefsenden Ansicht von der wirtschaftlich nützlichen Arbeit.

Doch liegt es mir fern, beide Männer miteinander ver

gleichen oder etwa Stoff zu ihrer Beurteilung zusammentragen zu wollen, sie interessieren uns hier nur so weit, als sie die von andern gebrochenen Bausteine behauen, zusammengetragen und zur Legung der allgemeinen philosophischen Fundamente unserer Wissenschaft verwendet haben. Dabei musste der besonderen Verdienste eines jeden gedacht werden, aber eine eingehende Betrachtung der Schriften und der Bedeutung Quesnays und Smiths wird noch manches aus den wissenschaftlichen Bestrebungen der Zeit heranziehen müssen, was hier keine Erwähnung gefunden hat.

Viel näher als die Erörterung der Verschiedenheit der Lehren Quesnays und Smiths liegt uns die Beantwortung der Frage, welches auf Grund der gemeinsamen philosophischen Grundlagen der gemeinsame Charakter der französischen und der englischen politischen Ökonomie des 18. Jahrhunderts sein musste.

Erstens konnte sie nicht anders als individualistisch sein. Nachdem Locke den Individualismus entfesselt hatte, welcher im modernen Naturrecht durch Grotius, Hobbes, Pufendorf gebunden worden war; nachdem man nun im Staate nichts sah als den Schützer der Freiheit und des Eigentums freier und rechtlich gleicher (nur der Subordination der natürlichen Gesellschaft unterworfener) Individuen: da war es den Begründern unserer Wissenschaft, welche sich aus dem Naturrechte entwickelte, fast unmöglich, die Volkswirtschaft anders aufzufassen, denn als die Summe von nebeneinander bestehenden, voneinander unabhängigen und nur durch das gesellschaftliche System der Arbeitsteilung miteinander verbundenen Privatwirtschaften1. Diese auf dem Boden des Naturrechtes emporgewachsene Ansicht erhielt dann eine Reihe von Stützen in der Psychologie, Ethik, Naturphilosophie.

Mandeville, welcher das Wirken für andere für eine Tugend hielt, welche nur von wenigen Menschen geübt würde, wies die ungeheure wirtschaftliche Wirkungsfähigkeit des psychologischen Faktors der Privatwirtschaft nach. Der menschliche Eigennutz schaffe nicht nur für sich, sondern auch für andere. Mandeville war weit davon entfernt zu glauben, dafs dem menschlichen Eigennutz alle Interessen der Gesamtheit überlassen werden könnten, die Ideen des Merkantilismus sind in ihm noch mächtig, der Staatsmann und die Handelsbilanz spielen in seinem Werke eine grofse Rolle. Immerhin hatte er überzeugt, dafs die privatwirtschaftliche Organisation der Volkswirtschaft die einzelnen und den Staat mit dem gröfsten Teile der bedurften wirtschaftlichen Güter versehen könne. Aber noch konnten Zweifel darüber entstehen, ob denn dies Walten des Eigennutzes auch sittlich erlaubt sei; Mandeville hatte es verneint.

1 Diese Auffassung hatte u. a. die Folge, dafs A. Smith das Nationalkapital für die Summe aller Privatkapitale hält: „Capital of a society, which is the same with that of all the individuals who compose it." B. II, chap. 3, p. 94.

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