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spricht die bekannte geringe Meinung, welche die Epikureer von einem Wirken im Staate hatten. Der Weise wird nur dann nach politischem Einflusse streben, wenn seine Sicherheit es erfordert; im übrigen überlässt er das Gemeinwesen den ehrgeizigen Menschen.

Überblicken wir die beiden philosophischen Systeme, deren Lehren über Recht und Staat wir vorher betrachtet haben, so fallen die gröfsten Verschiedenheiten ins Auge. Dort am Anfange die ewige Vernunft, hier das Spiel der Atome; dort beim Beginne der Menschengeschichte die Gleichheit und Freiheit aller Vernunftwesen im goldenen Zeitalter, hier die Gleichheit sittlicher Ungebundenheit, in einer Periode voll Rohheit und Barbarei; dort ein ewiges Naturgesetz, hier Gesetzlosigkeit, bis aus, dem Triebe nach Selbsterhaltung der Gesellschaftsvertrag hervorgeht; dort Hinneigung zur republikanischen Verfassung, welche mit der Freiheit und Gleichheit aller Vernunftwesen am meisten verträglich scheint, hier Vorliebe für die monarchische Staatsform, welche den Frieden am kräftigsten zu sichern die Aussicht bietet1; dort ein Herabsinken von uranfänglicher Höhe, hier ein allmähliches Emporsteigen zu materieller und sittlicher Kultur; dort die Lehre, dafs das Naturrecht vor dem positiven Gesetze gegolten habe, im Staate noch gelte und über alle Staatsgesetze erhaben sei, mit anderen Worten, dafs das, was die individuelle Vernunft des Weisen für wahr halte, eine höhere Geltung beanspruchen dürfe als alle positiven Gesetze, hier die Leugnung alles Naturrechtes im stoischen Sinne und die Behauptung, dafs der Mensch sich über jedes Gesetz hinwegsetzen dürfe, wenn in seinem individuellen Interesse für nützlich halte. Und doch ist noch genug des Gleichartigen vorhanden; denn beide Systeme nehmen einen Naturzustand vor der Gründung des Staates an, in dem niemand durch eine positive gesetzliche Macht in seiner Freiheit beschränkt werde und folglich auch alle Menschen in dieser Beziehung im Zustande der Gleichheit lebten; beide predigen den ethischen und politischen Individualismus, der eine den Individualismus der Vernunft, der andere den des Interesses; beide stehen allen realen politischen Gebilden wenn nicht feindselig, so doch gleichgültig gegenüber; das Individuum beherrscht das Interesse der Stoiker und der Epikureer.

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1 Wie der strengen und kräftigen Sittenlehre des Stoicismus jene unbeugsame republikanische Gesinnung entsprach, die wir namentlich in Rom so oft mit stoischer Philosophie verknüpft finden, so war es umgekehrt dem weichen und furchtsamen Geist des Epikureismus gemäfs, den | Schutz der monarchischen Verfassung aufzusuchen. Zeller, p. 458.

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Zweites Kapitel.

Das Naturrecht in Rom und im Mittelalter.

Wir wollen nun die Überführung der stoischen Lehre von Recht und Staat in die Schriften Ciceros und der römischen Juristen verfolgen, und zwar unter der Führung Voigts, welcher diesen Gegenstand mit staunenswerter Gelehrsamkeit behandelt. Folgendes ist nach ihm die Lehre des römischen Philosophen: Die lex naturae oder lex naturalis oder summa, vera lex

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oder caelestis lex . . . ist das Gebot Gottes selbst, hervorgegangen aus dessen ratio, und Gott selbst inwohnend und in und mit Gott auch dem Weltall und der Natur. Daher ist diese lex selbst eine summa oder recta ratio, wie eine mens oder ratio Dei, und eine ratio naturae. Sie ist von Gott den Menschen gesetzt als Anforderung an dessen ratio: als Vorschrift des zu Thuenden und zu Unterlassenden. Unabhängig von der Meinung und individuellen Anschauung der Menschen, wie der Nationen, ist sie communis lex naturae: uranfängliche und ewige, gleichmässige und una bänderliche Vorschrift für alle Zeiten und Völker, ein Ausdruck der absoluten Wahrheit, der höchsten Weisheit Gottes. Zur vollen Erkenntnis dieser lex gelangt der Mensch durch eigene Thätigkeit: Die Vorstellung von den Geboten der lex ist in ihren Grundanlagen als Keim und in kleinen Verhältnissen dem Menschen eingeboren; allein die ungetrübte Erkenntnis derselben .... ist lediglich die Frucht des ernsten Strebens und Ringens nach höchster Wahrheit .

Das durch die lex naturae gebotene Recht wird jus naturae oder jus naturale im Gegensatz des Quiritium jus genannt.... Den Menschen ist der Begriff dieses Rechtes gleichmässig ein

geboren, indem solcher unmittelbar der ratio eingepflanzt ist..." "1

Durch diese Lehren wird Cicero der Vermittler zwischen der Ethik der Stoiker und den Doktrinen der christlichen Philosophie 2. Jene ethischen Begriffe treten immer wieder auf, vermehrt um den Begriff des unmittelbar ausgesprochenen göttlichen Gesetzes, bei Paulus, Pelagius, Augustinus, Scotus Erigena, Abälard, am durchgebildetsten bei Thomas von Aquino. Dafs Gott der menschlichen Natur ein sittliches Gesetz eingeschaffen habe, dafs folglich das Naturgesetz in Wahrheit auch ein göttliches Gesetz sei, dafs neben diesem mittelbar göttlichen Gesetze ein durch die Offenbarung direkt verkündetes bestehe, dafs von diesen Arten von Gesetzen das bürgerliche, menschliche unterschieden werden müsse: das ist ein Kern von Gedanken, der sich fast überall aus den Lehren der mittelalterlichen Theologen und Scholastiker herausschälen läfst. Wie diese Männer die erwähnten Sätze verwerteten, welche Schlüsse sie aus dem Nebeneinanderbestehen eines natürlichen göttlichen Gesetzes mit der behaupteten Notwendigkeit des Übernatürlichen zogen: das darzulegen ist ebensowenig unsere Aufgabe, wie der Konsequenzen zu gedenken, welche die von den Nominalisten vorgenommene Basirung des Gesetzes auf den Willen Gottes, nicht auf seine ewige Vernunft nach sich ziehen musste. Es ist aber klar, dafs, nachdem später in der Doktrin die Beziehungen des natürlichen Gesetzes zu der göttlichen Vernunft oder dem göttlichen Willen gelöst oder zerschnitten wurden, nichts übrig blieb, als die ursprüngliche Fähigkeit der menschlichen Natur, Sittlichkeit und Recht aus sich selbst zu erzeugen. Doch werden jene Fäden immer wieder angeknüpft. Dafs das der menschlichen Natur entstammende Gebot zugleich ein göttliches sei, hat noch Adam Smith vorgetragen.

Im Vorhergehenden haben wir mehr die dem Naturrecht und der Ethik gemeinsame Seite der Ciceronianischen Philosophie betont. Aber auch auf dem speciell naturrechtlichen Gebiete wurde von Cicero eine Durchdringung der Begriffe des römischen Rechtes mit dem griechischen Gedanken angestrebt; er ist hierdurch ein Lehrer der römischen Juristen geworden, welchen es gelang, jene Verschmelzung wirkungsvoller durchzuführen.

Bekanntlich hat sich durch die Berührung der Römer mit

1 Voigt a. a. O. p. 185. 187. 192. Auch die Bezeichnung „Ordo“ findet sich schon bei Cirero, wie Daire behauptet. Physiocrates I, Introduction S. XX.

2 Jodl, Geschichte der Ethik in der neuern Philosophie 1882. Bd. I, p. 33 und 35.

3 Jodl a. a. O. p. 53, 56, 58, 64, 66, 68.

fremden Völkern der Begriff des jus gentium, des allen Völkern gemeinsamen Rechtes quo omnes gentes utuntur entwickelt. Es ist weiter bekannt, dafs diese den Völkern gemeinsamen Rechtssätze durch die Gewohnheit und das prätorische Edikt Einfluss auf das jus civile gewannen, sodafs das jus aequum einen Teil seiner Kraft im Kampfe mit dem jus strictum aus dem jus gentium zog.

Die stoische Philosophie, die Schriften Cicero's schlingen nun ein geistiges Band um diese aus praktischen Bedürfnissen entstandenen Rechtsgebiete. Das jus gentium der Juristen wird mit dem jus naturale der Philosophen in Verbindung gebracht; es scheint sich in dem jus gentium, quo omnes gentes utuntur, das Naturrecht zu offenbaren, quod naturalis ratio constituit. Zwar ist das jus gentium nicht allgemein dem jus naturale völlig gleichgestellt worden; doch haben die Identität einige Juristen, z. B. Gaju, behauptet. Das jus naturale würde auch dabei verloren haben. Nur dadurch gewann es seine ganze Hoheit, dafs es als ein bruchstückweise verwirklichtes und als ein erst ganz zu verwirklichendes Ideal erschien, bestimmt, alles einseitig nationale Recht zu verdrängen.

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Über die Bedeutung der Überführung griechischer Philosopheme in die römische Rechtswissenschaft drückt sich in überaus klarer Weise Voigt aus. Er behauptet, dass jene Lehre (vom jus naturale) zuerst das römische Volk zu einer kosmopolitischen Anschauungsweise emporhob und so diejenigen Vorstellungen, deren Keime bereits weitgreifende Eroberung und ausgedehnter Handelsverkehr in die Ideenwelt der Römer verpflanzt hatte, zur bewussten Erkenntnis führte und zu voller Ausdehnung und Tragweite ausbildete. Gleich allen Nationen des Altertums geht Rom in seiner staatlichen Entwicklung aus von dem Prinzip nationaler Exklusivität in allen religiösen, wie politischen und bürgerlichen Beziehungen. Auf jenes Prinzip stützt sich der antike Begriff vom Staate, wie wir solchen namentlich von Aristoteles, Polybius und Cicero ausgesprochen, vom antiken Leben getragen sehen. Hiernach erscheint der Staat als societas der Bürger zum Zwecke der Gemeinsamkeit des Rechtes, wie alles Nutzbringenden . . . . .. Über diese Gränze hinaus war den Römern die Vorstellung einer Gemeinschaft zwischen den Menschen oder zwischen den Freien völlig fremd." Doch als später „die Römer ein privatrechtliches jus gentium aufstellten, erkannten dieselben darin in der That eine Rechtsnorm an, welche nicht blofs die socii civitatis, sondern die gesamte freie Menschheit beherrscht. . . . Diese Annahme einer societas hominum enthält aber in Wahrheit den Grundgedanken und das Prinzip, welches vom antiken Standpunkte aus in der Erscheinung des jus gentium verhüllt lag ..... Gerade jener Grundgedanke... jenes neue Dogma... war von dem freien Gesichtspunkte der griechischen Philosophie erkannt und aus

gesprochen, von Cicero aber in einer für den antiken Standpunkt erhabenen Weise begründet und seinen Mitbürgern zur bewussten Anschauung vergegenwärtigt worden. Indem nun von dem letzteren, wie bereits von den Stoikern, jenes Dogma in die innigste Beziehung zur Theorie vom jus naturale gesetzt ward, so wirkte nun in dieser Verbindung das jus naturale, ebensowohl das Dogma von der societas hominum unterstützend, wie selbst von diesem gestützt, in der oben bezeichneten kosmopolitischen Richtung.

Dies ist die wichtigste Bedeutung, welche, namentlich in ihrer Verbindung mit dem Dogma von der societas hominum, die Lehre vom jus naturale für das gesamte Altertum hatte; ein bedeutungsvoller Moment aber auch in der Geschichte des gesamten Menschengeistes und seiner Kultur. Der Wendepunkt, wo eine neue Phase in dem Gange der Entwicklung der Menschheit anhebt und der Geist der Neuzeit, unterstützt und gefördert durch die kosmopolitischen Lehren des Christentums, seine Schwingen zu entfalten beginnt" 1.

Vergessen wir nicht zum Schlusse zu erwähnen, dass die römische Rechtswissenschaft noch eine andere Art des Naturrechts kennt. Neben dem jus naturale quod naturalis ratio constituit, und das nur für vernunftbegabte Menschen Geltung hat, existiert das jus naturale quod natura omnia animalia docuit. ein Naturgesetz, welches der Schöpfer der ganzen belebten Welt vorgeschrieben hat und dem die Tiere instinktiv gehorchen. Als ein besonderes Recht der Menschheit stellt sich dann das Naturrecht in der ersten Bedeutung dar. Für die Menschheit selbst ist es das absolute Recht. Die römischen Juristen drücken dies durch drei Attribute aus, die sie ihm beilegen, nämlich die Universalität der Geltung sowohl für die Völker, als für die Einzelmenschen, die Unwandelbarkeit im Verlaufe der Zeit, und die höchste materielle Gerechtigkeit" 3.

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Diese Ideen gingen allmählich in den Besitz der mittelalterlichen Schriftsteller über 4. Sie fanden zum Teil einen wohl

1 Voigt a. a. O. p. 235-237.

2 Jus istud non humani generis proprium, sed omnium animalium commune est. Hinc descendit maris et feminae conjunctio, quam nos matrimonium appellamus, hinc liberorum procreatio

3 Hildenbrand a. a. O. p. 607.

4 Wir stellen uns das Verschwinden der lateinischen Litteratur im Mittelalter übertrieben vor. G. Voigt (Die Wiederbelebung des klassischen Altertums, 2. Aufl. 1880-1. p. 4) sagt: Wie die römischen Rechtsbücher, so blieb auch die geschichtliche, philosophische und poetische Litteratur der Römer niemals ganz unbeachtet liegen Schon

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die Kirchenväter wiesen vielfach auf die profanen Autoren hin, denen sie ja ihre Erudition zum guten Teile verdankten . . . Endlich besitzen

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