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Was die Anlage des Gedichts betrifft, so wandelt es ganz und gar, und zwar Fuß vor Fuß, auf den Spuren der Geschichte und verfolgt den Gang der Schlachten bei Ligny und Waterloo genau nach den historischen Momenten. Selbst die Charaktere im Reden und Handeln find wortgetreu der Geschichte entlehnt; der alte Blücher z. B. ist durch seine bekannten Kraftreden und Wiße charakterisirt, was, aufrichtig gestanden, mitunter doch ein wenig zu sehr nach preußischer Prosa schmeckt, indem man diese Sächelchen tausend und tausend Mal gehört hat. In dem höchsten Sinne ist demnach das Werk kaum ein Gedicht zu nennen; denn zu einem Gedichte im eigentlichen Sinne find Freiheit der Idee und schöpferische Phantasie wesentlich erforderlich. Doch steht dieses Werk an poetischem Gehalt und Werth viel höher, als die neulich in Mode gekommenen historischen Dramen von Guzkow und Consorten, die nichts thun, als die Geschichte durch Dialog und Handlung verkörpern, und die Todten, mit den derzeitigen Rockschößen und Zöpfen, mit hochtrabenden rhetorischen Figuren und zeitgemäßen Tendenzen ausstaffirt, aus den Särgen auf die Bretter stellen, und durch dieses Drahtpuppenspiel mit Todten, diese Galvanoseistik an Leichen aller Poesie Hohn sprechen, indem die nackte Erbärmlichkeit ihres Dichtergenius immer durch die Löcher und Riffe ihres Tragödenpurpurs blickt. In diesem Buche ist wahrlich mehr zu finden, als in der Salonpoefie unserer zum Handeln wie zum Dichten gleich ohnmächtigen und entmannten Zeit, mehr als Thee-Reflection und Champagner-Trieb; hier spricht ein Mann zu uns, der innerlich mit sich und Gott gelebt und über das Leben in einsamen Studien ge= dacht hat, der nicht ein Leben wie unsere Schock-Poeten affectirt und es durch hohle Redensarten nachäfft, ohne zu wissen, was Leben heißt, ohne ein anderes Leben als das parfümirte in den Salons und Boudoirs neben und hinter verschrobenen, entweibten Frauen nur als möglich zu ahnen. Nein, von diesen faden Gesellen, diesen poetischen Taugenichtsen und Geschmackverderbern unterscheidet sich Herr Scherenberg ganz und gar, wenn auch in seinem Werke, wie gesagt, von keiner Erfindung des Stoffs, weder im Ganzen noch in Situationen und Charakteren, ja nicht einmal von einer Veränderung und kunstreichen Anordnung desselben die Rede ist. Seine Phantasie ist überall keine schaffende, am wenigsten eine Schöpferin aus Nichts. Die Schönheiten seines Werks liegen lediglich in der Ausmalung der Einzelheiten und in der Diction, die beide etwas

Imponirendes, oft Ergreifendes haben, und Innerlichkeit, Wahrheit, Geist, Kraft und Tiefe vereinigen und mischen. Die Wahrheit seiner Schlachtgemälde tritt lebendig und plastisch vor das Auge, wie die kräftigen Bilder eines Rupendas; ja ste übertreffen diese an Naturtreue, Reichthum und Abwechselung. Er malt die einzelnen Scenen des Kampfes enkaustisch mit Feuerfarben; Raketen- und Kanonendonner seine Worte; man sollte meinen, sein Pegasus habe mitgezogen vor den Kanonen auf dem Flankenmarsche durch das brennende Wavre!

In der Diction herrscht eine Sparsamkeit mit Worten, die an Geiz grenzt, und zwar lakonifirt er nicht aus Manier, sondern dem Wesen seines Geistes und seinen Kraftgedanken angemessen und zufolge. Densus, brevis, semper instans sibi fönnte Quinctilian von ihm wie von Thukydides sagen. Das leßtere, semper instans sibi, ist besønders charakteristisch für Scherenberg: Sein Gedankenreichthum läßt ihm nicht Zeit, seine Ideen in Worte zu kleiden; er deutet sie nur an, spricht in Räthseln wie die Pythia; ein Gedanke, ein Bild drängt das andere; ein Wort vertritt ganze Säße. Durch diese Kürze wird er oft dunkel: brevis sum, obscurus fio. Bei Manchem bleibt man in der That in Zweifel, ob man den Sinn des Verfassers getroffen habe, und sieht sich nach einem Commentar um. An dieser Dunkelheit ist zuweilen der Mangel an grammatischer Bestimmtheit, zuweilen eine dem Sinne nicht angemessene Interpunction schuld; an einigen Stellen haben sich auch Druckfehler eingeschlichen. Doch die Vorzüge des Gedichts wie seine Fehler mögen im Einzelnen näher nachgewiesen werden.

Das in unregelmäßigen, oft ganz außer Rand und Band gehenden Jamben abgefaßte Gedicht beginnt mit Napoleon's Aufbruch von Elba. Jacta alea esto, ruft Cäsar Napoleon, als er die Insel, seinen „gnadenreichen“ (?!) Kerker, verläßt und den „salzigen Rubicon" überschreitet. Er landet in Frankreich; als er die gallische Erde berührt, wachsen seine Kräfte wie die des Antäus, und bald trägt sein Adler die flatternde Tricolore auf die Thürme von Notre-Dame. Wieder da liegt Frankreich vor seinem Kaiser ein „Fußfall."

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Dann wendet sich der Dichter zu dem Eindruck, den die Nachricht auf den Congreß zu Wien, wo Napoleon's Erscheinen, das verherte diplomatische Knäuel mit einem Alexanderhiebe" durchhaut, und die „grüne Tafelrunde, verkreuzend Hand und Herz“ (Bild, entehnt vom Maurerbunde), sich zu altem Bünde erhebt.

Archiv f. n. Sprachen, IX,

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Europa rüstet; oben an ist „Marschall Vorwärts, der Zeit zu nichts sich läßt, als alt und müde zu werden." Britannia folgt die stolze Königin der Wikinge landet ihr Heer am Ufer des blutsverwandten Volks, Amphibia."

Deßgleichen rüstet Deutschland. Tyrol erhebt sich; die Kugel, die den Sandwirth tödtete, „traf ganz Tyrol." An das Volk der Palatine und Woiwoden hängt sich der beuteluftige, fingerfertige Pandur und Kroat" — und gemüthlich hinter seinem Kaiser folgt Austria, „das alte Kind."

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Auch die Söhne Ruriks zieh'n über die große WelschenBleiche" (Rußlands Schlachtfelder) stumm heran, fügsam ihrem Zaar wie ihrem Gott.

Und Napoleon nimmt den Fehdehandschuh auf und spricht zu feinem Adler:,,Greif an, eh' fie beisammen! Und fertig, wie einst der Horatier Mit jener lahmen Brüderschaft wirst Du mit dieser Wiener Acht."

Dann folgt eine schöne Schilderung der ländlich füßen Ruhe und des reichen Erntesegens Flanderns vor der Schlacht:

„Wogend

In ihres Segens götterreicher Fülle,

Ein off'ner Tisch des Herrn liegt Flanderns Au.
Davor, gefaltet seine Hände, steht,

Ein Dankgebet, der fromme Såemann; fingend

Schon räumt der heit're Schnitter seine Tenne.“

Plöglich wird die Natur ergriffen von einem Vorgefühl des Schlachtgewitters:

„Die Heerden brüllen, witternd heult die Rüde;
Der Mensch verläßt sein Haus und Heerd

-

Mit Weib und Kind, Schiff (— sonst Hafen, d. i. Gefäß und

Geschirr!"

(Eine acht dichterische Stelle, bei der man aber in Zweifel ist, ob man in diesen Vorzeichen eine rein dichterische Fiction oder etwas Historisches vor sich habe.)

Napoleon,,, der Kubir, Vater des Feuers, wie der Araber ihn nennt," zieht heran. Theile fie und siege!" spricht er zu seinem Adler, und wirft sich auf Ziethen, der in vorgeschobener Stellung bei Charleroi steht, während Blücher

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Um sich aber die Briten vom Halfe zu halten, sendet Napoleon den Marschall Ney, mit dem Befehl:

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Geh' links auf Quatrebras

Und amüsir' den Lord; ich schlag' derweil
Den Alten!“ und „donnernd in ansteigender
Lawine rollt er Wall auf Wall, (?)
Thürmt einen Berg vor Ligny's Höh’n.“

„Halt! schreit der Alte, daß die Berge dröhnen;

Du weißt, ich kann nicht rückwärts ! “

Und Halt macht Napoleon und gegenüber steh'n sich die

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Titan der Eine und Gigant der Andre,

Naturfeind sich in jedem Tropfen Lebens,

Wie die Dämonen Blutschuld und Blutrache.“
Bald geräth die Vorhut plänkelnd an einander:

,,Stoßfechtern gleich,

Die erst mit ihres Degens Spike spielen,

Eh' sie ins Leben führen ihren Stoß."

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Angriff Napoleon's auf Ligny und St. Amand, welches lettere bald erstürmt wird. Gefecht bei und in Ligny, besonders auf dem Kirchhofe, der von den Franzosen genommen wird; bis zum Bache, der quer durchfließt, ist Ligny erobert; doch da steht der Kampf heiß und gräßlich. Es schlägt sechs, es schlägt acht Uhr kein Engländer erscheint zu Hülfe, wie Wellington versprochen hat. Endlich fehlt's den Preußen an Pulver: , Nur noch mit Kolben schlägt man still sich todt." Da rückt die alte Garde vor matteten Preußen halten:

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Kalt, aber (?)

Wie der hohe Firn dem Föhn steht vor (!)
Zweifachem Sturm die Preußenstirn. Aufriß

Zu neuem Leben ihre Seele der

Allmächt'ge Augenblick.

die ers

Während die Preußen so in der Front der Garde entgegen kämpfen, umgeht eine französische Abtheilung das Dorf und bricht durch eine Schlucht herein, und durchbrochen ist der Preußen Mitte erobert durch die Franzosen Ligny!

Unterdeffen hat Blücher, der immer auf die Ankunft der Enge länder hofft, sich stürmend wieder auf das verlorene St. Amand geworfen, das er als Stüßpunkt seines rechten Flügels nicht entbehren kann. Als ihm hier die Botschaft des verlorenen Ligny wird,

"

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-

rafft er drei Reiterregimenter, unter ihnen Lüzow's Ulanen, zusammen und wirft sie auf die Garde vergebens! Diese giebt kaltblütig ihre mörderische Salve und Lüzow stürzt. Blücher selbst stellt sich an die Spize der Weichenden - ohn' Erfolg!

Zurückprallend lösen sich die Preußen in Flucht. Blücher, mit fortgerissen, stürzt mit seinem Pferde, welches auf ihn fällt. Vorüber stieben seine Regimenter, nur Nostiz bleibt bei ihm

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Im dunklen Bann des nächsten Augenblicks.“

Die verfolgenden Franzosen werden zurückgeworfen, „und wieder jagt es blind vorbei;"— da giebt ein preußischer Ulan Blücher sein Pferd, nachdem er „betäubt, zerschlagen vom jähen Sturz und seiner Jahre Wucht" unter dem Rosse hervorgezogen ist - und Blücher ist gerettet!

Gneisenau unterdessen, wie von einem Gott inspirirt, befiehlt den Rückzug des geschlagenen Heeres auf Wavre (wodurch die nachmalige Verbindung mit Wellington möglich wurde).

„Der Preuß ist abgefunden,“ ruft Napoleon,,,mein das Feld; verschollen der Blücher — such' ihn, Grouchy, wirf ihm nach noch seine Waffentrümmer in die Maas; ich werf' derweil in seine See den Briten!" Napoleon beschließt, indem er Grouchy die Preußen überläßt, sich am andern Tage auf Wellington zu werfen, der an demselben Tage der Schlacht von Ligny von Ney bei Quatrebras „amüstrt“ wurde, und darum sein Blücher gegebenes Wort, ihm zu helfen, nicht lösen konnte. Am Abend nach der Schlacht läßt dieser Blücher fragen, ob er ihm am andern Tage mit zwei Heerhaufen zu Hülfe kommen könne? Dann wolle er die Schlacht annehmen. Blücher verspricht, mit seinem ganzen Heere da zu sein!

Die Nacht vor der Schlacht bei Waterloo bricht an,,,schwül und thränenschwer der Himmel über Flandern." Die beiden Heere, das englische und französische, stehen sich einander gegenüber. Napoleon streckt sein,,Postenfühlhorn“ nach dem Feinde aus und beginnt eine Recognitionskanonade; dann sagt er zufrieden: „Ich habe meine Briten ganz vor mir!”

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Nacht wird's. Alles schläft, nur Er schläft nicht; aufweckt der sorgenwache Feldherr den müden Kaiser!" Er fürchtet, der Brite

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