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ihrer Reden. Und geredet wird in unsrer alten Poesie sehr viel. Dieser Zug der Innerlichkeit und Allgemeinheit geht durch die ganze deutsche Poeste und darin hat der große Reichthum unsrer Lyrik seinen Grund, worin wir jedes Volk übertreffen. Denn in der Lyrik offenbart sich die ganze Welt des menschlichen Herzens, aber diese Welt ist eben eine Welt, d. h. allgemein. Wenn nämlich auch in ihr die besonderen einzelnen Empfindungen des Individuums ausgesprochen werden, so geschieht das doch nicht mit dem Anspruche, daß sie nur als die Empfindungen des Dichters gelten sollen, die kein Anderer mit ihm theilt, sondern er erweitert seine Individualität zu einer so zu sagen allgemeinen Individualität. Diese Allgemeins heit seiner Gedanken kann freilich zunächst die Allgemeinheit der Gedanken seines Volkes fein; aber überschauen wir den Inhalt dessen, was die Lyrik besagt, so geht es doch meist über den Inhalt bloß nationaler Empfindungen hinaus; wenigstens die deutsche Lyrik bewegt sich größtentheils auf einem Felde, auf welchem sich auch jeder Mensch als Mensch bewegt, und nur die vaterländischen Dichter des Befreiungskrieges, die nur zu deutschen Herzen sprechen, machen eine Ausnahme. Meistentheils ist der Gegenstand Liebes Lust und Leid (die Zahl der alten und neuen deutschen Minnelieder ist Legion), der Lenz und der goldene Wein; oder die Lyrik beschäftigt sich, wie bei Schiller, mit der Darstellung der größten philosophischen und ästhetischen Ideen, die ihrer Natur nach allgemein sind. Weil indeß dieser Zug sich in der ganzen Poeste zeigt, so ist nicht zu läugnen, daß sie sich vortheilhaft auszeichnet durch das, was man Seele nennt, andererseits aber auch ins Ideale sich versteigt, während sie die finnliche Wahrheit Preis giebt.

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Auf derselben Linie mit dieser Richtung liegt auch die Neigung der Deutschen, sich mit den 'Urzuständen der Menschheit und der Völker zu befaffen und ihre geringe Befähigung zur Komödie. Wenn nämlich irgendwo, so scheint die reine Natur, die reine Menschheit sich in den Anfängen der Völker finden zu müffen, zur Zeit, wo sie so eben aus der Hand des Schöpfers hervorgegangen und noch nicht von den Verderbnissen der Cultur angefressen sind. Auf dem Wege der historischen Forschung läßt sich aber wenig über die Urzustände ausmitteln. Die Phantasie des Dichters hat hier daher freien Spielraum und kann nach Gefallen ins Blaue schweifen. Die Schilderungen, die wir auf diesem Wege erhalten, sind deshalb

ganz abstract, und die dichterischen Gestalten, die sich auf diesem dunkeln Hintergrunde abzeichnen, haben so unbestimmte Umriffe, daß sie sich fast als Menschen „an sich“ darstellen. Oder auch die Macht der Wirklichkeit spielt hier den Dichtern einen argen Streich. Indem sie nämlich ein solches goldenes Zeitalter, wo die Natur rein und unverhüllt war, aus ihrer Phantasie erschaffen, nehmen sie ihr eigenes Wesen zum Muster. Auf diese. Weise mischen sich Züge der lebendigen Gegenwart mit hinein und die Schäfer und Schäferinnen sprechen und denken wie Leute aus dem 18ten Jahrhundert. Ich habe nämlich die Zeit besonders vor Augen, wo man in das Dunkel des Urgermanenthums hinabstieg, wo man für Hermann, Thusnelda und die deutschen Urwälder schwärmte, die Zeit Klopstocks und des ganzen Bardenchors, wo man sich wohlig fühlte in dem Gedanken an die abstracte Freiheit und an die Seligkeit, deren sich die alten deutschen Bärenhäuter in ihren Eichenwäldern erfreuten; ferner die Idyllendichter, welche sich in eine Welt hineinträumten, welche angeblich vor dem Anfange aller Cultur liegen sollte, aber in Wirklichkeit nur veredelte oder auch nur versüßte Gegenwart war.

Die Komödie muß auf dem Grunde der unmittelbarsten Gegenwart stehen, wenn sie ihre volle, kräftige Wirkung äußern soll. Bedarf das Komische erst vieler Vermittelungen, seien ste historischer oder anderer Art, um als Komisches erkannt zu werden, so verliert es bedeutend an Kraft und hört auf, zum Lachen zu reizen. Der Deutsche lebt aber nicht sehr in der Gegenwart und sein Auge ist nicht geschaffen, die Verhältnisse des Augenblicks scharf zu beobachten. Sein doctrinärer Sinn muß sich erst die Gegenstände in eine gehö= rige Entfernung rücken, damit er sie aus der Vogelperspective betrachten kann. Freilich haben wir einen fruchtbaren Lustspieldichter hervorgebracht, Kozebue, der seine 211 Stücke geschrieben hat, aber außerdem, daß alle seine Lustspiele, nach einem Worte Göthe's, zwar nicht schlecht, aber doch gleich Null sind, so macht Eine Schwalbe doch keinen Sommer. Dagegen sind die Franzosen, weil sie mit leichtem Sinn auf der Oberfläche der Gegenwart leben, auf diesem Felde Meister. Jede neue Erscheinung im Leben gestaltet sich unter ihren Händen zu einer Poffe, einem Vaudeville, einer Komödie, und diese schießen dort in einer solchen üppigen Fülle hervor, daß ste alle deutschen Theater mit versorgen. In der Tragödie dagegen find wir mehr zu Hause. Denn in ihr handelt es sich nicht um

Gegenstände, die vom Augenblick der Gegenwart Leben und Bedeutung empfangen, sondern um solche, die würdig sind, ein dauerndes Interesse in Anspruch zu nehmen. Der Deutsche bleibt auch in der Tragödie sich treu. Er wählt sich lieber Stoffe, oder wenigstens gelingen sie ihm beffer, in denen der Mensch mit den Schranken seiner Menschlichkeit in Conflict geräth, als daß er solche Zustände erfaßte und gelungen darstellte, in denen der Mensch in seiner ge= schichtlichen Existenz gegen gegebene äußere Verhältnisse stößt. Die Palme reichen wir dem Faust, der den Menschen im Kampfe mit seiner eigenen Natur darstellt, ein Thema, das den Deutschen so recht zusagt, wie es sich schon äußerlich in den zahlreichen Bearbeitungen zeigt, die der Faustsage und ähnlichen Sagen zu Theil geworden find.

So wird, wie der Deutsche überhaupt, auch seine Dichtung von dem Individualismus beherrscht. Denn so läßt sich, glaube ich, die ganze Richtung, welche der Deutsche verfolgt, am kürzesten bezeichnen. Dieser Individualismus ist aber nicht gemeiner Art; er ist vielmehr zugleich Universalismus; er ist der reine Genuß, den das Subject von sich selbst hat, den ihm seine eigene Natur an die Hand giebt. Daher rührt in den verschiedensten Lebenssphären seine Behaglichkeit an sich selbst. Der Deutsche ist vor Allem dem Familienleben geneigt, weil er sich hier in einer selbstgeschaffenen Eristenz bewegt, einen geschlossenen Kreis um sich sieht, in welchen keine fremde Hand hineingreift, die ihn hindert, sein Glück beschaulich ruhig zu genießen. Im politischen Leben entspringt daher seine geringe Lust, sich ausdauernd mit den politischen Angelegenheiten zu beschäftigen; seine Gereiztheit und Empfindlichkeit, wenn er nicht gleich die Früchte seiner Thätigkeit einernten kann. Er beschäftigt sich lieber damit, statt mit ausdauernder Kraft sein Ziel zu verfolgen, sich über das, was geschehen ist, hätte geschehen können, sollen oder müssen, in einem breiten Redestrom zu ergießen. Daher kommt sein Vergraben in Studien, die dem allgemeinen Leben wenig Nuzen oder Zierde bringen, aber dem, der sie betreibt, eine desto größere Selbstbefriedigung gewähren. Dieser Individualismus ist endlich auch in der Poefte der Grund, daß überall das Pathologische in den Vordergrund tritt. Ferner entspringt daher der Mangel allgemeiner, fester Kunstformen, weil Jeder den Einflüsterungen seiner Launen und seiner Eitelkeit folgen kann. Ferner ist darin der Grund

zu finden, daß unsre Poesie allen Richtungen, welche nur möglich sind, sich hingegeben hat und nach allen Seiten hinschweift; keine festgeschlossene, nationale Phalanr wirft fremdländisches Wesen zurück. Endlich ist der Individualismus die Ursache, daß das deutsche Vaterland reich begabte poetische Geister besessen hat und besißt, aber keine eigentliche Nationaldichtung,

Vielleicht habe ich im Obigen zu viel bewiesen, und darum nichts bewiesen. Was ich von den Deutschen gesagt, ließe sich vielleicht auch von den übrigen Völkern der neueren Zeit sagen, von denen keines eine vollständig abgeschlossene Totalität zeigt. Dies hat allerdings seine Richtigkeit. Griechen und Juden sind allerdings die einzigen gebildeten Völkerschaften, die ganz auf sich selber standen; aber unter den neueren Völkern sind doch die Deutschen die, welche die weichste Nationalität besigen.

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Würdigung des Gedichts Waterloo

von Scherenberg.

Endlich einmal eine dichterische Erscheinung, die der Mühe werth ist, kritisch behandelt zu werden! Von vornherein begrüßen wir dieses Gedicht als ein poetisches Ereigniß, dem Aehnliches die deutsche Dichtkunst seit Jahrzehnten nicht aufzuweisen hat. Dieses Werk ragt aus der Sündfluth der verschwemmten deutschen Dichterwelt wie ein Berg Ararat hervor, an welchem die schwanke Arche der deutschen Poeste endlich einmal Ruhe und Halt wieder findet. Ungeachtet dieser Anerkennung im Allgemeinen aber wollen wir das Werk keineswegs für vollkommen in jeder Hinsicht erklären — im Gegentheil, es ist sehr viel an demselben auszusehen, namentlich fällt eine Tendenz zum Bombast unangenehm auf; aber Originalität und Gedankenreichthum, seine Hauptzierden, bringen die Fehler in Vergessenheit.

Das Gedicht gehört der beschreibenden Gattung an, es ist ein Schlachtgemälde. Wenn es auf dem Titel aber ein vaterlän disches Gedicht genannt wird, so ist das wohl mehr im subjectiven als objectiven Sinne zu verstehen; denn die Schlacht fiel nicht im Vaterlande vor, wurde nur zum Theil von Söhnen des Vaterlandes geschlagen und hatte nicht ausschließend eine Beziehung auf das Vaterland, wenn das Vaterland allerdings auch bei derselben sehr betheiligt war. Es scheint demnach mit diesem Namen nur die vaterländische Gesinnung angedeutet, in welcher das Gedicht verfaßt ist. Und eine solche spricht sich in demselben aus nicht bloß in der Darstellung deutscher Tapferkeit, sondern auch in einem höheren Sinne, in dem Ausdruck ächt deutscher Gesinnung; und wenn diese auch nicht als Tendenz zur Schau getragen wird, so taucht sie doch von Zeit zu Zeit, z. B. in dem Vorworte, unwillkürlich hervor. Uebrigens ist das Gedicht cher ein europäisches als vaterländisches zu nennen, schon wegen der Sprache, die von Fremdwörtern, lateinischen, französischen, englischen Ausdrücken wimmelt, so daß es nicht vom Volke verstanden werden kann, sondern eine classische Bildung bei dem Leser vorausfeßt.

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