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Geleit desselben trat sogleich die düstere Ahnung möglicher Störung seines Glücks auf, das nothwendige Product seiner subjectiven Bedürftigkeit, die sich als ein Moment seiner Liebe ergeben hat. Aber auch zu dem schon in sich nichtigen Entzücken steigert sie sich nur in besonderen Augenblicken, im Allgemeinen läßt sie das Subject auf der früheren Stufe der Erhebung und Anschauung stehen. Am klarsten zeigt sich das für Othello in seiner Erzählung vor dem Senate. Schon eher noch beginnt, gedenkt er der „sündigen Fehle seines Blutes,“ fühlt sich also noch ganz als Individuum, denn nur der Mensch, der sich zur Gattung erhoben hat, weiß sich durch diese gut, der aber wird sich seines Wesens auch nur als eines guten bewußt. Und dennoch ist gerade hier sein Selbstgefühl in ihm lebendig: „So wahr,“ sagt er,

wie ich dem Himmel

Bekenne meines Blutes fünd'ge Fehle,

So treulich meld' ich Eurem ernsten Ohr,
Wie ich gewann der schönen Jungfrau Herz,

Und sie das meine.

Denn diese lezten Worte, die zwar einerseits seine Hingebung aussprechen, legen doch andrerseits Zeugniß ab, daß er, selbst der Hingebung seiner Gattin gegenüber, noch auf die eigne Gewicht legt, daß somit eben jezt sein eigner Werth ihm im Bewußtsein ist. Da= mit hat aber unser Dichter, insofern jenem Ausspruch die Selbstständigkeit Othello's zu Grunde liegt, zugleich den ganzen Widerspruch, den wir oben entwickelt haben, den Widerspruch der Hingebung und Selbstständigkeit, klar und entschieden an die Spiße gestellt. Wieder eine Bethätigung jener oben hervorgehobenen Eigenthümlichkeit seiner Kunst. Daß aber Othello durch die Liebe in der That in keine höhere Sphäre emporgetragen wurde, beweist am schlagendsten seine eigne Auffassung derselben, nach der sie, wie wir sahen, bloßes Tändeln ist und seinem Ruhm im Wege steht. Damit sind alle jezt noch latenten Momente seiner Liebe aufgedeckt; es bleibt mir nun noch ihr Hervorbrechen, ihre Verwirklichung und Wirkung darzustellen, was im dritten Artikel geschehen wird.

Gotha.

Dr. Sievers.

Der Ewigblinde.

Eine Schillersche Anschauung.

Das „Lied von der Glocke" wird mit Recht zu dem Populärsten gerechnet, was Schiller seiner Nation geschenkt hat. Es war und ist, wie kein anderes Stück von des Dichters Leben, nach Inhalt und Form geeignet, diesem bei seiner Nation Eingang zu verschaffen. Sein Inhalt ist nicht weit, auch nicht zu hoch oder zu tief hergeholt; er liegt jedem Menschen so nahe, daß er sich so zu sagen mit Händen greifen läßt. Das menschliche Leben mit seinen Hauptmomenten von der Wiege bis zum Grabe das ist's was Schiller mit seiner Glocke Schlägen jedem, der nicht gedankenlos in den Tag hineinlebt, zu Gemüthe führt. Und wie der Stoff so die Form: allen wie aus dem Munde genommen. Daher die Popularität fogar in denjenigen Kreisen, die sich nicht zu den gebildeten rechnen lassen.

„daß sie ewig grünend bliebe

Die schöne Zeit der jungen Liebe!"

„Drum prüfe wer sich ewig bindet,
Ob sich das Herz zum Herzen findet,
Der Wahn ist kurz, die Reu ist lang!"

„Arbeit ist des Bürgers Zierde,
Segen ist der Mühe Preis.
Chrt den König seine Würde,

Ehret uns der Hände Fleiß.“

„Gefährlich ist's den Leu zu wecken,
Verderblich ist des Tigers Zahn;
Jedoch der schrecklichste der Schrecken

Das ist der Mensch in seinem Wahn.“

Das sind einige von den Schillerschen Glockenschlägen, die man hört, so weit die deutsche Zunge klingt, und die nach oben und nach

unten dringen bis an das verschlossene Ohr des Ewigblinden oder Ewigtauben. Den rührt kein Glockenklang, am allerwenigsten ein Schillerscher; der steht eher dem einen oder andern, der diesen Klängen mit Seelenvergnügen lauscht, im Wege, Klang und Lauscher eine Weile trennend und störend. Mit andern Worten: es gibt in dem Lied von der Glocke doch auch Stellen, die nicht jedem gleich auf den ersten Blick verständlich sind. Zu diesen gehört vor andern die folgende:

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Was alles hat der Dichter, während ihm diese Verse aus der Feder flossen, geschaut? und was will er daher, daß der Leser, wenn ihm dieselben zu Gesichte kommen, schauen soll? Wer ist der Ewigblinde? was ist des Lichtes Himmelsfackel? wem gilt das Wehe?

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Der Dichter sieht mit seinen leiblichen Augen oder im Geist dem Guß der Glocke zu, sieht so oder so das Erz in seiner Gluth und die glühende Masse in ihrer Wuth, und in demselben Augenblicke tritt ihm - nicht willkürlich oder nur zufällig — der Mensch in seinem Wahn, das Volk im Aufruhr vor die innere Anschauung, und er hört Glockenklang, Glockengeheul! Der Aufruhr zerret an den Strängen, das Volk zerreißt die Kette, durchbricht die Form, zersprengt das geborstene Haus der heiligen Ordnung, befreit sich selbst blindwüthend wie das glühende Erz. Und was der metallne Mund, von den Fäusten des Aufruhrs verzerrt, auf seine Schrecken herabheult, des Dichters Geist vernimmt's, versteht's und deutet's: Ewigblind der Aufruhr, ewigblind das Volk, ewigblind der Mensch, der Mensch in seinem Wahn!

Der Mensch in seinem Wahn - er ist der Ewigblinde. Das ist klar; aber wie? - Der Wahn ist blind, und der Mensch, vom Wahn geblendet, ist mit Blindheit geschlagen, aber ewig?

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Des Dichters Geist steht weiter; fein Blick geht freilich, wie jedes Menschenauge, von der finnlichen Wahrnehmung aus, aber von da immer höher und immer tiefer und immer weiter, und im Fluge, wie der Bliz vom Aufgang bis zum Niedergang, bis in die Sonne hinein, und in ihrem Lichte, mit ihrem Auge, selbst eine Sonne,

überschaut er das Ganze und durchschaut es bis ins Einzelne, bis auf das Einzelne, von wo er ausging. Sein Blick ist Durchblick, sein Anschaun Zusammenschau, Totalanschauung, von der Idee getragen.

So hier. Der Schöpfer des Glockenliedes, der Täufer des Ewigblinden sieht zunächst das Erz in seiner Gluth und die glühende Masse in ihrer Wuth, und augenblicklich leuchtet's ihm ein: Das glühende Erz ist was es ist nicht durch sich selbst; es glüht von fremdem Feuer, es kömmt in Fluß, in Bewegung durch Kräfte, die es nicht in sich hat; es ist glühend und in Bewegung, aber es weiß und fühlt nichts davon; es ist glühend, aber nicht sehend, selbst nicht in seinem Silberblick; in Bewegung, doch nicht wissend woher, wohin, wozu; nicht sich selbst bestimmend, in der Gewalt fremder Mächte, unter dem Zwange der Naturgewalten, es muß.

Aber vom Einzelnen sieht er aufs Ganze, dieses in jenem; in dem Erze die ganze Masse, wozu es gehört. Das Einzelne das Ganze im Kleinen hat die wesentlichen Eigenschaften des

Ganzen.

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Und von der Sache fliegt sein Blick auf die Person. So fieht er in dem Erze das geistlose, das finn- und willenlose Wesen, das Gegentheil von der Persönlichkeit nach dem gewöhnlichen Sprachgebrauch die Sinnlichkeit“ die finnliche Natur des Menfchen, die Negation der geistigen, die Folie des Lichtmenschen, und auf der Stelle leuchtet's ihm ein: die Sinnlichkeit ist wie das Erz von Erde, eine schwere Masse, an sich kalt, dunkel, unfrei, finstern Mächten verfallen, von der dunkeln Gewalt des Instinkts getrieben, von der eben so dunkeln Gewalt der Schwerkraft gezogen. Aber sie wird helle, geräth in Gluth und durch die Gluth in Bewegung von dem Feuer der Leidenschaft. Und so sieht er in dem glühenden Erze die leidenschaftlich aufgeregte Sinnlichkeit, den Aufruhr der natürlichen Triebe (des Pöbels) im menschlichen Organismus, und damit so recht eigentlich den Menschen in seinem Wahn, den einzelnen - und zuleht in dem Einzelnen die Gesammtheit aller Seinesgleichen, das Volk in Aufruhr, die ganze Masse in Wuth, und es leuchtet ihm ein: was die Sinnlichkeit im einzelnen Menschen ist, das ist der Pöbel in der Gesammtheit des Volks und der Völker, der Menschheit. Es ist immer und überall eine und dieselbe Masse, von demselben Stoffe: Staub vom Staube, von

normalen

demselben Wesen: schwer, kalt, starr, in ihrer Ruhe Tod, in ihrer Bewegung Aufruhr wider ihren Gegensaß und so oder so, in diesem abnormen oder jenem Zustande, immer lichtlos oder geistlos (blind) immer und überall dieselbe Masse, derselbe Stoff, dasselbe Wesen wie im Erz so im Fleisch und im Pöbel, wie in dem kleinen so in dem großen, alle einzelnen umfassenden Weltorganismus.

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Eben diese Maffe, schon von der Gnosis des Alterthums mit dem Sachnamen „Materie“ bezeichnet, wird in unsrer Stelle vor dem Angesicht der Poeste die in der Sache die Person und in dem Einzelnen das Ganze und so die Identität von beidem schaut in ihrer Weise personifizirt und in ihrer Sprache, der Ewigblinde" genannt.

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Ewigblind ist demnach alles, was zur Materie gehört, also auch der Pöbel; und alles was zum Pöbel gehört, also auch jeder „Materialist." Der Pöbel ist ja nichts anders als die Materie Hefe - im menschlichen Organismus oder die Korporation der Materialisten. Daher sagen wir: der Materialist ist der Ewigblinde oder, was dasselbe ist, der Mensch in seinem Wahn.

Diese Identität läßt sich nicht lange suchen. Der Materialist ist ja eben das was er ist durch seinen Zusammenhang mit der Materie; er hängt aber mit ihr als Mensch zusammen, zuerst von Natur, dann durch seinen Willen, sofern er diesen, d. h. sich selbst einerseits von dem Drange des Instinkts, der dem natürlichen Wesen des Menschen mitgegeben ist, und andrerseits von dem Zuge der Schwerkraft, welcher alle Materie untergeben ist, bestimmen und so in die Materie herunter ziehen und drängen läßt. Diese Schwerkraft und jener Instinkt haben nicht nur ein und dasselbe Ziel in der Uebung des Naturzwanges, sondern auch einen und denselben Grund im Materialismus, von dem beide nur verschiedene Ausflüsse oder Organe find. Der Materialismus vulgo die materialistische Sinnesweise, womit aber die Wirkung statt der wirkenden Kraft gesett ist ist nun (nach Analogie des Magnetismus) nichts anders als der Zug oder Drang des natürlichen Wesens im menschlichen zu seiner geistlosen Verwandtschaft, zur Materie hin, aber ein Zug oder Drang auf Kosten, zum Verderben des geistigen Wesens im menschlichen, ja, zum Verderben des ganzen menschlichen Organismus, schon nach dem Gemeinplaß: So ein Glied leidet, leiden alle mit.

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